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■ Auf AugenhöhePinochet, Allende und ein Einkaufszentrum

Eine chilenische Bekannte aus London schickte mir kürzlich eine Mail. Voller Freude sei sie vor das Krankenhaus gezogen, in dem die britische Justiz den chilenischen Ex-Diktator Augusto Pinochet festhalte. Daß sie das noch erleben durfte! Ihre Freude erschien mir mehr als verständlich. War doch ihr heutiger Mann wenige Tage nach dem Militärputsch vom 11. September 1973 verhaftet worden. Nach einem Jahr in einem Lager kam er frei. Meine Eltern – mein Vater war Auslandslehrer an einer Deutschen Schule – fuhren mit uns Kindern in die Hauptstadt. Dort verabschiedeten wir den Freund. Seine Maschine flog nach London: in die Freiheit.

1989 kehrte ich für drei Monate nach Santiago zurück und wohnte bei der Großfamilie jenes chilenischen Freundes, der das Land 16 Jahre zuvor hatte verlassen müssen. An einem Sonntag fuhren wir in das Viertel der Wohlhabenden. Nicht weit davon entfernt hatte Pinochet seinen Privatsitz errichten lassen, ein halb in die Erde abgesenktes und schwer bewachtes Haus, das viele Chilenen „El bunker“ nannten. Von hier aus hatte der Diktator nicht nur einen imposanten Blick auf die Anden, sondern auch auf ein nahegelegenes Einkaufszentrum. Dort konnte ich die Errungenschaften der Militärdiktatur besichtigen: exklusive Importwaren aus Europa und den USA. Einige Wochen später fiel die Berliner Mauer. Im chilenischen Fernsehen sah ich Hunderttausende nach Westberlin strömen. Darunter waren ganz gewiß auch viele Einwohner aus Berlin- Köpenick. Und mit allergrößter Sicherheit viele aus dem Plattenbauviertel, das den Namen „Dr. Salvador Allende“ trägt, des chilenischen Präsidenten, dessen Leben 1973 endete. Deutsch, wie die DDR nun einmal war, hatte man das Viertel ordentlich aufgeteilt und ordentlich benannt. „Allende I“ und „Allende II“ heißt noch heute das Wohngebiet für 18.000 Menschen im Südosten Berlins. Die „Allendianer“ ahnten im November 1989 nicht, daß sie eines Tages nicht mehr zum Ku'damm fahren müßten. Der Westen würde zu ihnen kommen. Am 15. Oktober dieses Jahres war es endlich soweit. Es war der Tag, an dem Pinochet seine letzte Londoner Nacht in Freiheit verbringen sollte, während in Köpenick die freie Marktwirtschaft mit dem chilenischen Marxisten versöhnt wurde: Feierlich eröffnete das „Allende-Center“.

In Chile gibt es heute viele Einkaufszentren. Aber keines ist nach Allende benannt. Ob eines Tages eine Einkaufsmeile „Augusto Pinochet“ heißen wird, fragte mich jüngst ein Freund. In Santiago, vielleicht. In Berlin bestimmt nicht. Severin Weiland

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