Streit um Diplom mit schwarzem Adler

Nach wie vor kämpfen die Albaner in Makedonien um die Anerkennung ihrer Universität in Tetovo. Der Regierungswechsel in Skopje läßt die zweitstärkste Bevölkerungsgruppe hoffen, ihre Forderungen durchzusetzen  ■ Aus Tetovo Erich Rathfelder

Die Hochzeitsfeier ist schon vorbereitet. 350 Gedecke stehen auf den Tischen in dem Saal des größten Hotels der Stadt Tetovo. Bald werden die Gäste eintreffen. Nervös nestelt ein Kellner an seiner schwarzen Jacke. Das Ausrichten von Hochzeitsfeiern ist hier eigentlich Routine. Er ist jedoch sichtlich aufgeregt.

Es sind offenbar die drei Männer, die vor ihm sitzen, die ihn nervös machen. Die Knöpfe der Weste eines der Männer haben Mühe, den sich darunter befindlichen beachtlichen Bauch einzuzwängen. Er fächelt sich Luft mit einem dicken Geldbündel zu. Der zweite feilt an seinen Fingernägeln, während er aufmerksam den Kellner betrachtet. Der älteste der drei macht sich an einem Taschenrechner zu schaffen. Die Hochzeitsfeier will bezahlt sein. Denn schließlich ist die Braut die Schwester des Westenträgers.

Hier sitzen drei der verrufensten Mafiosi von Tetovo, der mit rund 200.000 Einwohnern zweitgrößten Stadt Makedoniens. Die draußen parkende brandneue schwäbische Limousine, das herrschaftliche Gebaren und das unberechenbare Lachen lassen es auch den anderen Gästen angeraten scheinen, vorsichtig zu sein. Die drei stehen in dem Ruf, nicht nur bei illegalem Geldwechsel, sondern auch bei der Prostitution und im Drogengeschäft ihre Hände im Spiel zu haben.

Sie sprechen makedonisch mit dem Kellner, albanisch untereinander. „Natürlich gibt es Mafiosi unter den Albanern“, sagt Jusuf, ein seit 30 Jahren in Berlin lebender Arbeiter, der in seiner Heimatstadt seine Ferien verbringt, „aber die meisten Leute sind anständig und wollen nur ein normales Leben haben.“ In einem kleinen schäbigen Cafe in der Nähe des Hotels sitzt Jusuf mit seinen Feunden und spielt Karten. Die meisten der hier Anwesenden haben keinen festen Job und schlagen sich mit Gelegenheitsarbeiten durch. Verwandte im Ausland schicken hin und wieder Geld. „Albaner haben keine Chancen, in staatlichen Unternehmen unterzukommen. Im Hotel sind fast alle Angestellten Makedonier. So ist es auch in der Polizei, in der Verwaltung und den wenigen noch existierenden Industriebetrieben. Wir Albaner aber müssen uns selbst helfen, viele sind ins Ausland gegangen, viele versuchen sich in Geschäften“, sagt Jussuf.

Wer geblieben ist und über ein wenig Geld verfügt, hat sich selbständig gemacht. Die Straßen sind gesäumt von Lebensmittel- und Bäckerläden, von Schuhverkäufern und fliegenden Händlern, von Friseurgeschäften und Cafés, Restaurants und Schnellimbissen, aus denen der Geruch zu lang benutzten Fettes strömt. In den modernen Hochhäusern hingegen, in den besseren Vierteln des Zentrums, leben und arbeiten die Makedonier, die im Gesamtstaat Makedonien in der Mehrheit sind, in Tetovo jedoch nicht einmal 20 Prozent der Bevölkerung stellen. Achtzig Prozent der Menschen hier in der Stadt sind Albaner.

In einer Geschäftsstraße westlich des Hotels sind nur kyrillische Schriftzeichen zu sehen. Rufi, ein Begleiter, zögert, in die Straße einzubiegen. Obwohl nur einen Steinwurf weit von hier wohnend, hat der jugendliche Albaner diese Straße noch niemals betreten. Sie ist für ihn eine verbotene Zone, in die einzudringen nicht ratsam ist.

Daß hier in den Straßencafés lediglich mazedonische Jugendliche anzutreffen sind, die die letzten Sonnenstrahlen des Herbstes genießen, ist ihm sichtlich unbehaglich. Doch sogleich ist diese Zone durchquert. Als ein Café auftaucht, dessen Reklametafel mit lateinischen Buchstaben auf seinen albanischen Besitzer weist, entspannt er sich.

„Ich möchte eine Zukunft haben,“ sagt Rufi, „aber so ist das doch kein Leben. Die Makedonier beherrschen alles in diesem Staat. Wir Albaner haben keine Chance, in diesem System ganz normal einen Beruf zu erlernen oder auf höhere Bildung.“ Nur wenige Albaner könnten an der Universität in der Hauptstadt Skopje studieren. „Sie wollen uns ausschließen, sie wollen uns dumm halten,“ sagt er erbost. Er sei froh, daß er sein Studium in diesem Jahr an der Universität von Tetovo aufnehmen konnte. „Das ist eine albanische Universität, die erst vor vier Jahren gegründet wurde. Unsere Universität.“

Die Rezeption zur Universität von Tetovo ist nur ein kleines Büro in einem Privathaus. Auch die Gebäude der Fakultäten sind in Privathäusern untergebracht. Zum Beispiel das der Fakultät für Linguistik. Das vierstöckige Gebäude ist erst kürzlich weiß angestrichen worden, die Innenräume sind noch nicht ganz verputzt, im Untergeschoß ist ein Café untergebracht, Studentinnen unterhalten sich draußen auf der Treppe. Niemand hat allzuviel Geld auszugeben.

Eine Familie aus Tetovo hat das Gebäude der Universität gespendet. Hier wird albanische, englische, deutsche und französische Sprache und Literatur gelehrt, zudem ist eine orientalistische Abteilung angeschlossen. In einem Deutschseminar lehrt Hamsi Behluli, der noch an der Universität Hamburg seine Habilitation abzuschließen hat. Dennoch unterrichtet er hier und fühlt sich wohl im Kreis von Kollegen wie dem Anglisten Prof. Sami Ibrahimi, der über viele internationale Kontakte verfügt. Er will beitragen zu dem Aufbau dieser Universität, die aus eigener Kraft und ohne Hilfe von außen und gegen den Willen des makedonischen Staates auf die Beine gestellt wird.

Die meisten der Studenten kommen aus der einheimischen albanischen Mittelschicht, sind Kinder von Geschäftsleuten, Lehrern und Journalisten oder stammen aus Familien, deren Väter im Ausland arbeiten und so – besser als die meisten hier Lebenden – das Geld für das Studium ihrer Kinder aufbringen könnnen. Denn neben den Studiengebühren von 200 Mark müssen noch die Bücher und auch der Lebensunterhalt der Studenten bestritten werden. Vielen Familien fällt das nicht leicht. „Aber wir sind alle voll bei der Sache, selbst wenn die Abschlüsse bisher in Makedonien nicht anerkannt werden“, ist der Tenor einer Befragung des Deutschseminars von Hamsi Behluli.

Prof. Dr. Fadil Sulejmani, der Rektor, ist ein kämpferischer Mann, der von Beginn an das Projekt Universität betrieben hat. „Die ökonomischen und politischen Probleme des Landes sind wie in allen Übergangsländern sicher nicht leicht zu lösen,“ sagt der grauhaarige Professor, „aber die kulturellen Probleme könnten einfach geregelt werden, da bräuchte es bloß politischen Willen.“ An dem mangele es aber. In Jugoslawien seien die Rechte der Albaner besser geschützt worden als sie es jetzt im makedonischen Staat sind. „Aber selbst in der makedonischen Verfassung ist der Gebrauch der Muttersprache im Ausbildungssystem garantiert. Die Realität sieht jedoch anders aus.“

Zwar gebe es muttersprachlichen Unterricht an den Grund- und weiterführenden Schulen. Das grundsätzliche Problem bestehe aber darin, daß die Lehrer noch in der jugoslawischen Zeit ausgebildet wurden und bald pensioniert würden. Die Regierung behaupte, an den makedonischen Universitäten würden acht Prozent Albaner studieren. Dies sei jedoch nicht wahr, die Quote liege tatsächlich bei zwei Prozent, „obwohl die Albaner wie andere Bürger auch Steuern für diesen Staat bezahlten“. Damit könnten keinesfalls die erforderlichen 3.000 bis 4.000 Lehrer ausgebildet werden.

Auch deshalb war es notwendig, die Universität von Tetovo zu gründen. Nach den Aufnahmeprüfungen für das nächste Studienjahr umfasse die Universität fast 6.000 Studenten und über 300 Professoren in 13 Fakultäten. „Wir verhalten uns gemäß den Gesetzen und akzeptieren die Regelungen im Erziehungssektor, auch was die Standards des Unterrichts betrifft. Die makedonische Sprache ist hier gleichberechtigt. Wir fordern aber, unsere Universität als dritte Universität in Makedonien anzuerkennen und die Anerkennung der Diplome.“

Noch ist der Raum mit dem schwarzen albanischen Adler auf rotem Feld, der albanischen Nationalflagge, geschmückt. Der Wahlkampf ist jedoch zu Ende. In dem Büro der nach den Wahlen vom letzten Wochenende wichtigsten Albanerpartei, der „Albanischen Demokratischen Partei“, sind die Forderungen der Universität Teil des Aktionsprogramms. Arben Xhaferi, „starker Mann“ der Albaner in Makedonien, macht eine mögliche Koalition mit den Wahlgewinnern, den makedonischen Nationalisten der VMRO, abhängig von der Anerkennung der Universität von Tetovo. Bisher ist er mit dieser Forderung bei der alten Regierung auf Granit gestoßen.

„Aber das kann sich jetzt ändern“, erklärt einer seiner Mitarbeiter. Nur mit der Möglichkeit zur höheren Ausbildung könnte die Abwanderung abgewendet und das Bildungsniveau der Bevölkerung gehoben werden. „Die Kriminellen sind doch auch nur ein Ausdruck der Gesamtlage hier. Der für uns akzeptable Ausweg könnte sein, daß ein neues Erziehungsgesetz die Gründung von Privatschulen und -universitäten legalisiert.“ Und Arben Xhaferi selbst lockt mit der Stabilisierung des makedonischen Staates durch die Albaner. „Die Albaner sind der Schlüssel für die Existenz des Staates Makedonien, man muß uns aber entgegenkommen.“ Auch von internationaler Seite. Vielleicht könnten ausländische Universitäten mit der Universität von Tetovo mehr als bisher kooperieren, hoffen Studenten und Professoren. „Das wäre ein echter Beitrag zum Frieden in der Region“, sagt Rektor Fadil Sulejmani.