Ja keinen von "drüben"!

■ Neun Jahre nach dem Fall der Mauer sind Beziehungen zwischen Ossis und Wessis auch in Berlin noch immer ein Abenteuer. Der Wunsch nach einem Partner aus dem gleichen Teil des Landes nimmt zu

Es hätte alles so schön sein können: Urlaub mit der Freundin, endlich mal die Heimat zeigen, da, wo man herkommt, wo man sich wohl fühlt... Aber Rolf, der so nicht heißt, aber anonym bleiben will, konnte sie nicht begeistern: „Wie sieht denn das hier aus!“ motzte seine Freundin, erinnert sich Rolf.

Da hat der Berliner Arzt ihr erklärt, warum das alles so „häßlich“ ist: weil man sich beim Hausbau in der DDR fast alles selber organisieren, oft selber bauen mußte. Aber das schien seine Flamme gar nicht richtig zu verstehen – weil sie aus dem Westen der Hauptstadt kam und er aus dem Osten?

Der bärtige Mann mit der hohen Stirn vermutet das und hat Konsequenzen gezogen. Als die Beziehung zu Bruch ging, wandte er sich an eine Partnervermittlungsagentur mit nur zwei Vorgaben: Seine nächste Freundin sollte möglichst Berlinerin und am besten aus dem Osten der Stadt sein. Er wollte sich nicht so oft erklären müssen und, wie etwa in diesen verdorbenen Ferien, „ständig vollnölen lassen“.

Ein Einzelfall? Keineswegs, erklärt Gisa Lange, Präsidentin des Gesamtverbandes der Ehe- und Partnervermittlungen (GDE), des laut Eigenwerbung „einzigen und ältesten“ Berufsverbands dieser Branche. Bundesweit gibt es etwa 400 Agenturen, knapp 50 sind im GDE, seit 16 Jahren führt auch Frau Lange eine, die „top-contacte exlusiv“-Agentur in Berlin.

Ihre Beobachtung: Gut ein Drittel ihrer Klienten im Osten und Westen wünschten sich keinen Partner, der von „drüben“ kommt, also aus Ost- beziehungsweise Westberlin, aus den neuen oder alten Ländern. Ja, die Zahl derer, die einen solchen Wunsch äußerten, nehme sogar zu seit etwa drei Jahren, während sie davor kontinuierlich gesunken sei. Die Mauer in den Köpfen wird größer, wächst selbst in den Betten, und das neun Jahre nach dem Mauerfall!

Belegt wird dieser Eindruck von – wenn auch mit Vorsicht zu genießenden – Zahlen des Statistischen Landesamtes Berlin (siehe auch den Kasten): Demnach nimmt der Anteil der Eheschließungen zwischen Partnern aus Ost- und West- Bezirken der Stadt seit 1995 kontinuierlich ab. Und: Diese Ehen machten 1997 nur 2,6 Prozent aller Berliner Trauungen aus, während mehr als ein Viertel aller Berliner Ehen zwischen Deutschen und Ausländern geschlossen wurden.

Walter (auch dieser Name ist geändert), ein leitender Angestellter aus Westberlin, gehört zu den Kunden Gisa Langes, die lieber eine Frau aus dem Westen, am besten aus Westberlin, suchen. Der 46jährige, gekleidet in Jackett, Hemd mit Krawatte und Jeans, hat sich eine halbe Stunde frei genommen, sitzt in einer Kneipe gleich neben seinem Unternehmen: Er hat eine siebenjährige Beziehung mit einer Potsdamerin hinter sich. Daß die Partnerschaft gescheitert sei, habe „unbedingt“ etwas damit zu tun, daß sie aus dem Osten komme, sagt er.

Die attraktive, gebildete Frau habe er bei der Arbeit kennengelernt, schon nach drei Tagen seien sie ein Paar gewesen – er mache keine großen Umstände, erläutert er, unterbrochen von einem Anruf auf seinem Handy: „Wenn ich jemanden gut finde, packe ich zu.“ Doch nach einiger Zeit habe er nicht mehr über Eigenschaften hinwegsehen können, die ihn störten, und auch im Bett, wo es „soweit in Ordnung“ gewesen sei, habe es dann nach immer mehr Streit nicht mehr so geklappt: Mit dem Zanken verging die Lust.

Was ihn von seiner zwölf Jahre jüngeren Freundin entfremdet und mit ihrer Herkunft aus dem Osten zu tun gehabt habe: ihre „Eingeengtheit“ im Handeln, ihr übertriebener Ordnungssinn und vor allem eine „ziemlich ausgeprägte Humorlosigkeit“. Die DDR-Bürger seien eben von ihrer geschlossenen Gesellschaft geprägt worden – „die waren ja innen drin auch zugemauert, ein bißchen versteinert“.

„Spätpreußisch“ war sie, wie ihre Mutter. Ihr Vater dagegen habe sich „total gewandelt“, erklärt Walter begeistert, der sei offener, ja „plötzlich richtig zum westlichen Genußmenschen“ mit Segelboot und Cabrio geworden.

Rolf störte dagegen an seinen zwei „Wessas“, die er als Freundinnen gehabt habe, gerade die Tatsache, daß sie so „cool“ gewesen seien – ein Begriff, der nichts Positives für ihn habe: Bedeute er doch, daß man „emotional nicht an einen rankommt“, der Partner seine „eigene Nabelschau in den Vordergrund“ stelle. Er sei nicht ostalgisch, aber dies Verhalten habe sehr wohl etwas mit ihrer West-Sozialisation zu tun gehabt. Sich selber in den Mittelpunkt zu schieben, dies Verhalten sei „von der Tendenz her“ im Westen größer.

Katrin Rohnstock, Autorin und Herausgeberin mehrerer Bücher über Frauen und Männer in Ost und West und ihre Beziehung zueinander, konstatiert nach Recherchen bei Partnervermittlungen ebenfalls eine wieder wachsende Scheu vor Ost-West-Partnerschaften. Falsche Erwartungen und bittere Enttäuschungen im Zuge des gesellschaftlichen Vereinigungsprozesses seit dem Mauerfall spiegelten sich auch in den Beziehungen zwischen Wessi und Ossi.

„Einzelerfahrungen führen auf beiden Seiten zu ungerechtfertigten Pauschalurteilen“, sagt auch die Vermittlerin Gisa Lange. Gerade bei Ossis und Wessis über 40 seien die Vorbehalte voreinander „ausgesprochen gewachsen“, hebt Katrin Rohnstock hervor. Aber: Je geringer das Bildungsniveau, desto unkomplizierter seien in der Regel Ost-West-Beziehungen.

Wenn das stimmt, passen Horst und Hella nicht ganz ins Bild: Seit 1993 sind sie ein Paar (ohne Trauschein), auch sie haben sich über Gisa Langes Agentur kennengelernt. Beide sind 58 Jahre alt, und wie sie so ganz nahe beieinander auf ihrem kissenbeladenen Sofa in einem Jahrhundertwende-Häuschen in Wilhelmshagen sitzen, wirken sie vertraut, als seien sie schon Jahrzehnte zusammen.

Sie genießen offenbar ihre Beziehung: Hella, die Ostberlinerin, erzählt, die Freundschaft zu ihrem Horst habe ihr den Horizont erweitert, die Stadt sei plötzlich so groß geworden. Er habe ihr den Westen gezeigt, sie ihm den Osten. Eine Beziehung, betont Horst, sei eben „ein kleines Abenteuer“, ihr Grund „letztlich ein Geheimnis“, und begeistert erzählen sie von dem kleinen Tischchen, das sie sich im Urlaub in Utrecht gekauft haben... Urlaub mit der Freundin kann so schön sein! Philipp Gessler