Straßenbahn mit Kaffee und Croissants

■ Mit guten Ideen hat Karlsruhe sich zum Mekka des Nahverkehrs entwickelt. Straßenbahn und Eisenbahn fahren auf dem selben Gleissystem

Ein Satz, wie aus einer besseren Welt: „Busse und Bahnen fahren bei uns immer dann, wenn man sie braucht.“ So etwas sagt Dieter Ludwig gern, denn ein wenig Übertreibung kann er sich leisten. Ludwig ist Chef der Karlsruher Verkehrsbetriebe und hat den Nahverkehr vorangebracht, wie kein zweiter Manager in der Republik. Die Hamburger Zeit erklärte ihn schon vor Jahren zu „Deutschlands innovativstem Verkehrsplaner“, andere nannten sein Konzept „bahnbrechend“ oder erkannten ein „Glanzstück hiesigen Einfallsreichtums“. Und die gesamte Verkehrsbranche spricht heute ehrfürchtig vom „Karlsruher Modell“. Der Erfolg Ludwigs mißt sich oft in dreistelligen Wachstumsraten. 500 Prozent mehr Fahrgäste auf einer Strecke, 300 Prozent mehr auf einer anderen – das schafft Ludwig mitunter binnen eines Jahres. Entsprechend wurden zahlreiche Autofahrten in Karlsruhe und im Umland unterlassen – das Bahnsystem kommt so einem veritablen Umweltprogramm gleich.

Alles begann mit einer genialen Idee, die Karlsruhe im Jahr 1992 zum Schauplatz einer Weltneuheit machte: Sogenannte Zweisystem- Stadtbahnwagen wurden in Dienst gestellt. Sie sind zur Hälfte Triebwagen, zur Hälfte Straßenbahn, und können daher sowohl auf dem Gleisnetz der Karlsruher Stadtbahn als auch auf den Schienen der Eisenbahn verkehren. So verbinden sich die Vorteile beider: schnelles Anfahren, kurzer Haltestellenabstand, hohe Taktfrequenz mit längeren Fahrtstrecken und bequemen Waggons.

Es kam den Planern zupaß, daß schon vorher die Straßenbahn in Karlsruhe auf der 1.435-Millimeter-Normalspur verkehrte. Doch das allein reichte nicht. Während die Eisenbahn mit 15.000 Volt Wechselstrom fährt, wird die Tram mit 750 Volt Gleichstrom betrieben. Auch die Zugsicherungssysteme und Funkanlagen waren nicht kompatibel. Die Lösung kam aus den Häusern der Düsseldorfer Duewag und der Mannheimer ABB Henschel Waggon Union. Deren „Hybrid-Bahn“ schaltet automatisch auf die neue Spannung um, sobald sie von einem Fahrsystem ins andere wechselt. Die Fahrgäste merken davon nichts.

Weniger Umsteigen, mehr Flexibilität – mit diesem Prinzip gelang es den Karlsruher Verkehrsbetrieben, viele neue Kunden auf die Bahn zu bekommen. Die Strecke von Karlsruhe ins 30 Kilometer entfernte Bretten war 1992 die erste, auf der die neuen Waggons fuhren. Die Bahn wurde damit schneller, die Waggons wurden moderner. Binnen eines Jahres stiegen die täglichen Fahrgastzahlen von 1.460 auf 7.000. Am Wochenende nahm die Zahl der Passagiere auf dieser Strecke von jährlich 6.200 auf mehr als 227.000 zu. Das ist ein Anstieg um sagenhafte 3.600 Prozent.

Das Stadtbahnnetz wuchs weiter, indem zunehmend Strecken der Deutschen Bahn darin integriert wurden. Seit Anfang der 90er Jahre wurde die Streckenlänge von knapp 100 auf heute 300 Kilometer ausgeweitet. Und die Expansion schreitet voran: Die Gleise der Deutschen Bahn ins 60 Kilometer entfernte Heilbronn werden derzeit für die Straßenbahnwaggons tauglich gemacht, auch die Strecke im Murgtal wird gerade ausgerüstet. In erster Linie heißt das: Es wird elektrifiziert. Die Haltepunkte werden modernisiert, eventuell kommen neue hinzu. Es ist oberstes Gebot der Verkehrsplaner, die Fahrgäste umsteigefrei aus dem Umland ins Zentrum von Karlsruhe zu führen. Denn Verkehrsplaner wissen genau: Wo die Fahrgäste umsteigen müssen, verliert der Schienennahverkehr massiv Anteile an das Auto.

Auch in Städten, in denen die Straßenbahn auf Schmalspurgleisen fährt, hält Ludwig den Mischbetrieb von Straßenbahn und Eisenbahn für möglich und sinnvoll. Durch Dreischienengleise werde die Mitbenutzung der vorhandenen Trassen möglich gemacht. Ist das Straßenbahnnetz nicht allzu üppig ausgebaut, könne sogar „an eine Umspurung gedacht werden“. Wenn Ludwig das sagt, nimmt die Branche das interessiert auf. Ob aus Saarbrücken, Aachen, Chemnitz, Salzburg oder Graz – von überall her bekunden Verkehrsplaner das Interesse am Karlsruher Modell.

Aber auch ein Dieter Ludwig kann einmal schiefliegen. Als er 1996 die Straßenbahn für 390 Millionen Mark im Stadtzentrum von Karlsruhe unter die Erde legen wollte, brachte ein Bürgerentscheid das Projekt zu Fall. Es war den Befürwortern nicht gelungen, den Nutzen des Tunnels darzulegen – und die Mehrheit befand daraufhin, man könne mit dem Geld anderweitig mehr für den Nahverkehr tun.

Ludwig, nach der Niederlage dem Abschied von Karlsruhe nahe, ist schließlich doch geblieben. Und auch ohne den Tunnel unter der Fußgängerzone gedeiht sein Unternehmen weiterhin prächtig. 123,6 Millionen Fahrgäste registrierte der Karlsruher Verkehrsverbund 1997 und überflügelte mit einer Zunahme gegenüber dem Vorjahr von fast 11 Prozent andere Verkehrsverbünde um Längen. Es sind oft die unkonventionellen Lösungen, die in Karlsruhe die Stadtbahn ins Gespräch bringen. Auf langen Strecken verfügen die Wagen über Teppichboden, Klimaanlage, Tische und Vorhänge sowie hohe Panoramafenster. Vier Züge, die auf der Linie Eppingen/Baden-Baden verkehren, wurden gar kürzlich mit einem Bistro-Abteil ausgestattet. Morgens gibt es Kaffee und Croissants, abends ein frisch gezapftes Pils. Und das alles in einer Straßenbahn. Bernward Janzing