Embryonen als Vorratslager

US-Forscher züchten erstmals Zellen von Embryonen im Labor. Menschliches Gewebe auf Bestellung rückt näher. Industrie hat das Verfahren bereits patentiert  ■ Von Wiebke Rögener

Krefeld (taz) – Die Schaffung von menschlichem Gewebe auf Bestellung, zum Beispiel für Transplantationen von Organen, wird wahrscheinlicher. Erstmals können jetzt Wissenschaftler Zellen aus menschlichen Embyonen langfristig in Kulkturschalen züchten, berichtet das Wissenschaftsmagazin Science in seiner jüngsten Ausgabe. Ein Team US-amerikanischer und israelischer Forscher isolierte die Zellen aus im Reagenzglas befruchteten „überzähligen“ Embryonen. Die Entwicklung könnte Transplantationen erleichtern, die Pharmaforschung verändern und möglicherweise einen Teil von Tierversuchen überflüssig machen.

Die Forscher verwendeten Embryonen, die erst wenige Tage alt waren und sich im sogenannten Blastulastadium befanden. Sie entnahmen Zellen, die sich noch zu ganz unterschiedlichen Zelltypen entwickeln können. Mit 32 solcher Zellkugeln, die von den Eltern gespendet wurden, fingen die Forscher an. Fünf davon blieben am Ende übrig und gedeihen jetzt als Zellkultur. Seit acht Monaten leben die ältesten der so gewonnenen Zellen und teilen sich munter fort. Drei von ihnen sind männlich, zwei weiblich. Das Enzym Telomerase, das vor einigen Monaten als „Unsterblichkeitsenzym“ durch die Medien ging, trägt offenbar zu dieser Langlebigkeit bei.

Noch ist nicht festgelegt, was aus diesen „embryonalen Stammzellen“ werden soll: Knochen-, Hirn- oder Herzmuskelzellen – in diesem frühen Stadium hat jede Zelle noch alle Möglichkeiten. Und dieser Mangel an Differenzierung macht sie für die Forscher höchst attraktiv. Denn durch geeignete Wachstumsbedingungen lassen sich die Zellen in beliebige Richtungen dirigieren. Ob Haut, Hirn oder Herz, zumindest in Tierexperimenten ist es schon gelungen, durch Zugabe bestimmter Wachstumsfaktoren die jeweils gewünschten Produkte zu erzeugen. Bisher werden zum Beispiel für eine medizinisch und ethisch höchst umstrittene Therapie der Parkinsonschen Krankheit Hirnzellen aus mehreren abgetriebeneen Föten benötigt, um Nervenzellen im Hirn eines Patienten zu ersetzen. Embryonalzellen aus der Kulturschale können hier bald für leichteren Nachschub sorgen. Aber auch jedes andere Gewebe, so hoffen die Wissenschaftler, müßte sich herstellen lassen, wenn erst bekannt ist, welche Faktoren dessen Wachstum steuern. Besonders verlockend erscheint die Kombination mit einer anderen Errungenschaft der biomedizinischen Forschung. Laut John Gearhart vom John Hopkins Hospital in Baltimore müßte es nach der „Dolly-Methode“ möglich sein, Erbgut aus einem Patienten, der ein Transplantat erhalten soll, auf die embryonalen Zellen zu übertragen. Anschließend würde dann das gewünschte Entwicklungsprogramm angestoßen, um etwa die gewünschten Nerven- oder Leberzellen zu züchten. Das so entstehende Gewebe würde vom Immunsystem nicht abgestoßen.

Ganz so weit ist es noch nicht. Doch schon bald dürften Zellen nach Maß für einen anderen Anwendungsbereich zur Verfügung stehen – für die Pharmaforschung. Wie die menschliche Leber, Nerven oder Blutzellen auf eine bestimmte Behandlung reagieren, wird wohl bald in entsprechend gesteuerten Kulturen aus embryonalen Zellen getestet werden. Damit ließe sich möglicherweise die Zahl der Tierversuche verringern. Auch die Wirkung von potentiell giftigen Stoffen ließe sich an solchen Systemen untersuchen. Ob dann der ganze Organismus so reagiert, bleibe allerdings erst noch zu beweisen. Es verwundert nicht, daß ein so gewinnträchtiges Verfahren bereits patentiert wurde. Alle Rechte an dem vom Team hergestellten Zellinien wurden von Geron Corporation, einer Biotech- Firma in Menlo Park, Kalifornien, erworben. Die Arbeitsgruppe will jedoch anderen Forschern die Zellen kostenlos zur Verfügung stellen. Diese müßten nur zusichern, daß die Embryonalzellen nicht dafür eingesetzt werden, Chimären, also Mischwaren aus Menschen und Tieren, herzustellen.

Schließlich heben die Forscher auch die Bedeutung ihrer Experimente für die Grundlagenforschung hervor. Versuche zur Entwicklungsbiologie des Menschen, die sich bisher aus ethischen Gründen verbieten, ließen sich durchführen, wenn aus dem Embryo eine Zellkultur geworden ist.

In den USA ist die verbrauchende Forschung mit menschlichen Embryonen, anders als in Deutschland, nicht verboten. Nur gibt es dafür keine öffentlichen Gelder. Der neueste Triumph der Embryonenforscher wird mit Sicherheit die Debatte um diese Einschränkung erneut anfachen.