Unerfreuliches Geflüster

Biologistische Theorien können Kulturen nicht erklären und erleben dennoch eine Renaissance. Leider wird die Moralkeule allein die schlafende Bestie nicht bezwingen  ■ Von Stefanie Remlinger

Die Bestie Mann hat nichts anderes im Sinn, als sich und seine Gene zu reproduzieren. Und zwar nur seine. Die Unterdrückung der Frau ist die natürliche Folge – egal in welcher Kultur“, wurde in einem Beitrag über „das Geflüster der Gene“ auf diesen Seiten behauptet. Interessant aus kulturwissenschaftlicher Sicht ist nicht die These, die der Autor vertritt. Sie ist sowohl empirisch als auch logisch widerlegbar und im übrigen nicht sonderlich hilfreich, wenn es darum geht, die Unterschiedlichkeit der Kulturen dieser Welt zu erklären. Im Gegenteil: In derartigen biologistischen Erklärungsansätzen werden kulturelle Unterschiede einfach als Nebensächlichkeiten zur Kenntnis genommen, weil sie ja mit der Biologie des Menschen nicht zu erfassen sind. Denn, so der Autor selbst: „Genetisch unterscheiden sich die Menschen, die diese verschiedenen Kulturen geschaffen haben, kaum.“ Übrig bleibt VerfechterInnen von biologistischen Ansätzen deshalb nur, grundsätzliche Differenzen zu leugnen und Universalien zu postulieren. In dem Artikel „das Geflüster der Gene“ etwa die Verliererrolle der Frau überall und zu aller Zeit.

Interessant ist die Frage, warum solch eine bunte Auswahl von Gedanken aus verschiedensten Quellen, vom Sozialdarwinismus über Arnold Gehlen bis hin zum biologistischen Radikalfeminismus oder auch zum male backlash Marke Why Men Rule, immer wieder diskutiert wird.

Eben weil sie Differenzen leugnen, werden biologistische Ansätze gerade für die Begegnung mit anderen Kulturen als vereinfachende Erklärungsmuster herangezogen. Auch in Kreisen, die sich für weltoffen und tolerant halten. Denn: Wir haben ein Problem mit dem Sprechen über die anderen.

Wir sind unfrei, das Fremde zu benennen. Wir fühlen diffus, daß wir unsere als Chauvinisten oder Paschas wahrgenommenen fremdländischen Freunde nicht Chauvis schimpfen dürfen. Weil wir aber eigentlich so fühlen, sprechen wir grundsätzlich niemanden vom Verdacht rassistischen Denkens frei. Konsequenterweise auch nicht uns selbst. Vor allem die Linke nähert sich deshalb dem Fremden mit moralischen Kategorien. Bestimmte Themen werden zu Tabuzonen erklärt. Statt dessen sollte vielmehr auf die Verunsicherungen in der Bevölkerung durch Einwanderung eingegangen werden. Diese Ängste sind nicht von vornherein Resultat einer fremdenfeindlichen, engstirnigen Gesinnung, sondern inhärenter Bestandteil jedes Fremdbegegnungsprozesses. Auch die Linke muß sich getrauen zu definieren, „was ein guter Deutscher“ ist, um das Feld nicht den Rechten zu überlassen. Im Moment schwingt sie lieber die Moralkeule im Sinne von „du darfst niemanden ausgrenzen“, statt sich dem Diskurs zu stellen.

Unsere Schwierigkeit beginnt schon bei der bloßen Existenz des Fremden. Wir müssen uns der Tatsache stellen, daß Angehörige verschiedener Kulturen sich systematisch unterscheiden. Nicht nur auf einer individuellen, sondern auch auf einer gesamtkulturellen Ebene. Der Mensch ist ebenso sehr ein gesellschaftliches Produkt, wie die Gesellschaft ein menschliches Produkt ist, auch wenn diese oftmals als „objektive“ Wirklichkeit erscheint. Hat man diese Dialektik vor Augen, so kann man die irreführende Vorstellung einer „kollektiven Identität“ fallenlassen, ohne zur Einzigartigkeit der individuellen Existenz Zuflucht nehmen zu müssen.

Wenn man diese Dialektik nicht im Auge behält, vernachlässigt man die aktive Gestaltungsmöglichkeit des Menschen, für die gerade die Vielfalt der Kulturen ein Beweis ist. Geht man von einer biologischen Grundsteuerung, beispielsweise bei der Herrschaft des Mannes über die Frau, aus, so kann man Differenzen in den Geschlechterrollen bei den verschiedenen Kulturen sicherlich nicht erklären. Und vor allem kann man offensichtlicher Unterdrückung nichts entgegensetzen. Sie ist ja dann naturbedingt. Es bleibt nichts anderes übrig, als mitzuflüstern: Die Welt ist schlecht. Da kann man nichts machen. Die Gene sind schuld.

Die historischen Gesellschaftsstrukturen erzeugen Identitätstypen, die im individuellen Fall erkennbar sind. Daß ein Amerikaner anders ist als eine Deutsche, die wiederum anders als eine Türkin, welche man bei genauem Hinsehen auch nicht mit einem Schweizer verwechseln wird – solche Erfahrungen haben wir alle schon gemacht. Nur sehen wir ihnen nicht gern ins Auge, schieben sie lieber ab ins vielgeschmähte Reich der Vorurteile. Leider lösen sie sich dort nicht auf. Im Gegenteil. Gemäß der Regel, daß auch der Reisende sieht, was er sehen will bzw. was ihn seine Kultur zu sehen gelehrt hat, verfestigen sich Vorurteile weiter fröhlich vor sich hin, trotz oder sogar dank des deutschen Reiseweltmeistertums.

Es ist sicherlich richtig, daß man beim Gespräch über eigene und fremde Identitäten auf einem schmalen Grat wandert. Die Gefahr, ins Klischeehaft-Abwertende (Araber! Kameltreiber!...“) oder eben ins fremdenfeindliche Lager abzudriften bzw. dort hingesteckt zu werden, ist groß. Doch Bangemachen gilt trotzdem nicht: Diese Gespräche müssen geführt werden.

Es reicht nicht, nur positive Appelle zu starten: Liebe deinen Nächsten (wie?), sei tolerant (auch gegenüber Intoleranten?), sieh jede Fremderfahrung als Horizonterweiterung (und nicht als Verunsicherung), bewerte die anderen nicht nach deinen Maßstäben (nach welchen dann?) usw. Guter Wille reicht nicht, diese Ansprüche zu erfüllen. Wir flüchten uns zu scheinbar universalen Maßstäben, am liebsten werden die Menschenrechte als übergeordnete Wertmaßstäbe herangezogen. Doch nicht einmal die helfen uns richtig weiter, denn zum einen sind sie für konkrete Situationen oft zu allgemein und eindimensional, und zum zweiten können wir uns des Verdachts nicht erwehren, daß auch die Menschenrechte so universal und kulturübergreifend vielleicht doch nicht sind, schließlich passen sie verdammt gut zu unseren freiheitlich-westlichen Demokratien – und nur dazu.

Die Schwierigkeit mit der Fremdwahrnehmung kann nicht einfach aus der Welt geschafft werden. Nicht durch Ignorieren und nicht durch die Kulturwissenschaften. Die Enttäuschung, daß letztere uns diese Probleme nicht abnimmt, ist paradox: Den Kulturtheorien, die es sich zur Aufgabe gemacht haben zu untersuchen, wo interkulturelle Konfliktquellen liegen und wie sie geartet sind, wird zum Vorwurf gemacht, daß sie diese Probleme nicht sofort lösen. Dabei zeigen sie nur: Wir stehen beim Fremdverstehen immer noch am Anfang.

Entscheiden, was gut und was schlecht ist, kann nicht allein den Wissenschaften und schon gar nicht den Naturwissenschaften überantwortet werden – oder wie wollen letztere z.B. die Kopftuchdebatte deuten?

Alle inhaltlichen, moralischen, politischen Fragen müssen andauernd und ständig neu, von allen gesellschaftlichen Kräften, ja von jedem und jeder einzelnen in einer Kultur ausgehandelt werden. In diesem fortwährenden Definitionskampf kann es nicht darum gehen, unvoreingenommen an die Sache heranzugehen. Abgesehen davon, daß das gar nicht möglich ist, ist es auch nicht wünschenswert. Es muß Inhalte geben, über die verhandelt werden kann. Einer davon ist sicherlich die Gleichberechtigung der Frau.

Für Biologisten kann es sich bei solchen Forderungen nur um vielleicht schöne, aber letztlich unerfüllbare Utopien handeln. Doch den Anspruch auf Gleichberechtigung sollte man sich nicht durch den Verweis auf die Bestie im Mann, seine genetische Festlegung und Steuerung, nehmen lassen.