Alte Meister

■ Es gibt ein Leben nach Rock'n'Roll: Elvis Costello über Flugangst, die Zusammenarbeit mit Burt Bacharach und den Witz eines guten Songs

taz: Herr Costello, Sie haben es wieder getan...

Elvis Costello: Wie bitte? Was meinen Sie?

Ein Album zu machen, das nichts, aber auch gar nichts mit der Kommerzialität Ihrer Erstlingswerke zu tun hat.

Na, das will ich doch hoffen!

Ist es Ihnen unangenehm, an der eigenen Vergangenheit gemessen zu werden?

Nicht wirklich. Schließlich stammen diese Vergleiche in erster Linie von Leuten, die sich hauptberuflich mit Musik beschäftigen. Und denen muß ich allein schon deshalb dankbar sein, weil sie sich die Zeit nehmen, über mich nachzudenken. Der Rest der Menschheit ist doch viel zu beschäftigt mit sich selbst.

Das klingt, als wären Sie recht unzufrieden mit dem alten Elvis?

Teilweise. Es gibt viele Songs, die ich heute nicht mehr spiele, und andere, die ich nur noch in veränderter Fassung bringe. Schließlich bin ich heute eine ganz andere Person als damals. Hey, ich habe diesen schmerzlichen Prozeß des Erwachsenwerdens intensiv erlebt. Bin dadurch aber nicht zwangsläufig weiser. Viele meiner älteren Sachen erscheinen mir heute als das Werk einer anderen Person. Die meisten sind einfach nur Quatsch, sie reflektieren einen starken Drogenkonsum und haben keinerlei Bedeutung. Sie sind reine Nostalgie, während die wirklich guten Songs den Witz und die Ausdruckskraft eines arroganten, selbstbewußten Jungen reflektieren. Ich nenne diese Zeit nicht umsonst meine wütende Phase...

Warum haben Sie sich 1996 von Ihrer langjährigen Stammformation The Attractions getrennt?

Die Band war eine Zeitlang sehr gut. Ich würde sogar soweit gehen, sie als eine der verkanntesten Formationen aller Zeiten zu bezeichnen. Dennoch: Wenn du 25 bist, macht es dir nichts aus, dich ständig und überall zu streiten, aber wenn du in deinen 40ern immer noch nicht weißt, wie du dich auf Tour verhalten mußt, dann solltest du doch besser aufhören.

Worin liegt der Unterschied zwischen dem Solisten und dem Bandleader Costello?

Nun, viele Songs, die im Original wunderschön waren, sind von den Attractions regelrecht zerstört worden. Schließlich waren sie eine Rockband und haben es selbst in ihren besten Tagen nicht geschafft, eine gewisse Raffinesse zu entwickeln. Im Studio ist ihnen das durchaus gelungen, aber auf der Bühne war es ziemlich schrecklich.

Also empfanden Sie die Rockmusik zuletzt doch eher als Gefängnis?

Stimmt. Andererseits besteht das Problem darin, daß musikalische Kuriositäten wie „Spike“, „Mighty Like A Rose“ oder auch „All This Useless Beauty“ sich als große kommerzielle Risiken erwiesen haben. Die Leute bevorzugen eben Alben, die stilistisch einseitig sind – auch wenn sie schlecht sind.

Wie kommt es zu diesem permanenten Drang nach Wandel? Haben Sie Angst davor, auf einen bestimmten Stil reduziert zu werden?

Wenn ich vor etwas Angst habe, dann vor dem Fliegen. Ich habe zwar noch keine brenzligen Situationen erlebt, hänge aber sehr am Leben.

Das Magazin „Q“ hat Sie kürzlich zu den 100 reichsten Musikern Englands gezählt. Stimmt das?

Ich wünschte, ich hätte soviel Kohle! Ehrlich gesagt, habe ich in den letzten Jahren eher Geld verloren als eingenommen. Schon allein durch Kollaborationen wie mit dem Brodsky Quartett oder anderen klassischen Musikern. Ein teurer Spaß, von dem ich aber sehr viel gelernt habe.

Zählt dazu auch Ihre jüngste Kollaboration mit Tricky, der Ihren Song „Pills And Soap“ überarbeitet hat?

Im Grunde haben wir uns nur mit Mixes ausgeholfen, er agiert schließlich in einer ganz anderen Liga. Mein Sohn versucht gerade, mich in die Materie einzuführen, indem er mir immer neue Kassetten aufnimmt. Leider hat der Tag nicht genug Stunden, um wirklich alles zu hören – auch wenn ich es versuche. Aber eines ist klar: Wenn ich je wieder ein krachiges, lautes Album aufnehme, dann wird es ein Dance-Album, das sich nicht für die Disco eignet. Es würde sich zwar der Techniken dieses Genres bedienen, aber doch nichts mit dem zu tun haben, was bislang auf dem Markt ist.

Und bis es soweit ist, schmachten Sie ihre Hörer auf „Painted From Memory“ erst einmal in Grund und Boden?

Finden Sie es wirklich so schlimm? Ich sehe darin sehr viel Optimismus. Nehmen Sie nur den ersten Song „In The Darkest Place“ – von da aus kann es eigentlich nur besser werden. Schließlich gibt es keinen völlig dunklen Raum, sondern es ist immer irgendwo eine Lichtquelle. Und wenn man lange genug drin verweilt, gewöhnt man sich auch an die Dunkelheit. Überhaupt folgen die meisten Songs der Prämisse „Dies ist so schlecht, wie es nur sein kann, also laß uns daraus ausbrechen“. Natürlich ist Burt Bacharach vor allem für seinen stimmungsvollen Optimismus wie in „Raindrops“ bekannt, aber es ist nicht so, daß ich ihn nun zu dieser Morbidität verführt hätte. Er scheint sich auf diesem Gebiet sehr wohl zu fühlen. Jedenfalls hat er sich nie über meine Texte beschwert.

Wer war der unglücklich Verliebte, er oder Sie?

Als wir vor etwa einem Jahr mit den Aufnahmen begannen, haben wir den Schwerpunkt auf Songs über verlorene Liebe und jede Menge Herzschmerz gelegt. Von daher geht es hier um die unterschiedlichen Aspekte von tragischer Liebe. Ein Song handelt von Sterblichkeit, der nächste von einer aufgelösten Beziehung, ein weiterer von Eifersucht sowie der Unfähigkeit, sich in eine neue Partnerschaft einzufügen. Wenn du dich auf einer Party systematisch betrinkst, gibt es nichts Schlimmeres als fröhliche Musik. Und ohne Burt würde das Ganze noch viel depressiver klingen.

Stimmt, man könnte meinen, Ihnen ginge es verdammt dreckig. Ist „Painted From Memory“ ein therapeutisches Album?

Irgendwie schon. Aber es geht eben nicht zwangsläufig um mich, sondern um Situationen, die ich miterlebt habe, oder um die Erlebnisse von guten Freunden. Es geht aber auch niemanden etwas an, ob das Ganze nun autobiographische Züge trägt oder nicht. Ich habe nie versucht, meine Stücke authentischer zu machen, indem ich behaupte, sie wären persönlich. Das ist dieser moderne Nonsens – von wegen herzzerreißende Selbstbekenntnisse. Genau wie die Leute, die in diesen gräßlichen Talkshows auftreten und verkünden: „Ich war ein Sünder, aber jetzt bin ich geheilt.“ Leider gibt es heute viel zu viele Musiker, die meinen, nur dadurch von sich reden zu machen, daß sie irgend etwas Schreckliches gestehen. Wenn du dich auf eine Bühne stellst und sagst: „Ich wurde vergewaltigt, und jetzt erzähle ich euch davon“, werden nicht weniger Frauen mißbraucht. Es wäre viel angebrachter, sich mit jemandem zu unterhalten, der dir wirklichen Rat geben kann – zum Beispiel auf einer Couch in einem ruhigen Raum (grinst).

Es gibt diese Kritiker-Phrase, die besagt, daß ein guter Lounge- Musiker auch immer ein guter Schauspieler ist?

Das ist mir neu. Ich glaube auch nicht, daß ich jemals den Begriff „Lounge music“ verwenden würde. Was Burt betrifft, so ist seine Musik eher zufällig im Easy Listening gelandet, weil er ein paar Instrumentalalben aufgenommen hat, die wirklich sehr einfach zu hören sind. Deswegen ist er in dieser Schublade gelandet. Dabei hat seine Musik wohl etwas mit der Weiterentwicklung klassischer 40s- und 50s-Musicals zu tun. Ein Metier, in dem sich Burt bestens auskennt – er hat schließlich schon ein Musical komponiert: „Promises, Promises“. Zudem hat das sehr viel mit R'n'B zu tun. Er hat schließlich für Aretha Franklin und Dionne Warwick geschrieben. Und wer Songs wie „Say A Little Prayer“ kreiert, den kann man nicht ernsthaft als Easy Listening bezeichnen... Dafür ist das viel zu intensiv. Er ist ein Komponist der alten Schule – die haben weniger einen bestimmten Stil verfolgt als einfach für den Anlaß geschrieben.

Wissen Sie, wie alt Ihr neuer musikalischer Counterpart ist?

Ich habe keinen Schimmer. Ich weiß nur, daß er schon seit den späten 50ern im Geschäft ist, ein sicheres Indiz dafür, daß er die 60 schon locker überschritten hat. Aber das merkt man ihm nun wirklich nicht an. Er hat eine unglaubliche physische Energie, und seine Musik klingt geradezu schwerelos. Es ist nicht so wie im Rock'n'Roll, wo du den körperlichen Kontakt zu deinem Instrument suchst. Burt ist vielmehr elegant, auch wenn er oft sehr druckvoll und emotional spielt. Dabei wirkt er sehr cool, was aber gar nicht zutrifft: Er ist einfach nur unglaublich ruhig und drückt seine Leidenschaft in einem Spiel aus, das von ausdrucksstarken Gesten gezeichnet ist.

Was ist eigentlich aus Ihrer Filmkarriere geworden? In den 80ern waren Sie auf diesem Gebiet ziemlich aktiv, während Sie in den letzten Jahren nur einen kurzen Cameo-Auftritt hatten – und den ausgerechnet in „Spice World“...

Ich habe einen neuen gedreht, und der ist etwas tiefgründiger. Er erscheint nächstes Jahr. Es wäre noch zu früh, darüber zu reden, aber er wird definitiv ein Hit. Ich sehe mich schon als Oscar-Gewinner. Interview: Marcel Anders