"Hier platzen eben keine Bomben"

■ Das Wehrtheater Hartmann darf seine Inszenierung von Sarah Kanes "Blasted" nicht mehr zeigen, weil sich die Autorin darin nicht wiederfindet. Ein Gespräch mit dem Regisseur Sebastian Hartmann über Werktreu

Mitnichten obsolet geworden, schon gar nicht im sogenannten jungen Theater: die Werktreue-Debatte. Doch nun erteilte der Rowohlt-Verlag dem Wehrtheater Hartmann für die Inszenierung von Sarah Kanes „Blasted“ (Zerbombt) Aufführungsverbot. Begründung: Der 30jährige Regisseur Sebastian Hartmann habe das Stück „nicht im Sinne der Autorin“ inszeniert. Weder der Verlag noch die Britin Sarah Kane haben die Inszenierung persönlich gesehen – jedoch „zuverlässige Regisseure, Dramaturgen und Freunde von Sarah Kane“, so Nils Tabert vom Rowohlt-Theaterverlag.

Allerdings war Hartmanns Aufführungsvertrag auch schon beinahe ausgelaufen, als er im September dieses Jahres „Blasted–Zerbombt“ als Gastspiel (Premiere in Leipzig 1997) ins Tacheles brachte – just zum selben Zeitpunkt, als das Stück in der DT-Baracke unter der Regie von Rüdiger Burbach Premiere hatte (vgl. taz vom 24.9.). Damit begann der Ärger, denn für Berlin hatte sich die Baracke exklusive Aufführungsrechte gesichert. Hartmann, der sich vom Baracken-Intendanten Thomas Ostermeier persönlich gemobbt sieht, hat am Freitag im Theater unterm Dach mit „Tränen Spotten“ nach Motiven von Ferdinand Bruckner Premiere. Ein Stück von 1946, das vom Wehrtheater ins Arbeitsamt der 90er Jahre verlegt wird.

taz: Mit der Begründung, Sie hätten nicht im Sinne der Autorin inszeniert, hat der Rowohlt-Verlag die Aufführungsrechte für „Blasted“ von Sarah Kane gestrichen. Interessiert Sie überhaupt die Frage, wie Autoren ihre Stücke gerne auf der Bühne sehen würden?

Sebastian Hartmann: Klar. Man liest ein Stück, und irgendwann beginnt das Gespräch mit den Zeilen und darüber schließlich mit dem Autor. Dabei geht es vor allem um schwarze Löcher zwischen den Worten und um Bilder, die in diesem Spielraum entstehen können. Das verstehe ich als Gesprächsangebot des Autors, auf das ich zu reagieren versuche.

Meine Aggressivität im Umgang mit Stücken kommt also daher, daß ich diese Gesprächsenergie aufnehme. Das kann allerdings zu einem dramaturgischen Prinzip führen, das scheinbar abweicht vom Text. Aber schließlich hat ja auch der Autor in unterschiedlichen Stimmungen am Stück gearbeitet – und warum sollen ich und die Schauspieler mit diesen unterschiedlichen Energien nicht auch entsprechend variabel umgehen?

Ich finde es extrem albern, daß jetzt plötzlich ausgerechnet bei dieser Generation von „jungen Wilden“ alles ganz detail- und textgetreu sein muß, wo sich jeder Pillepalle-Regisseur schon angemaßt hat, Shakespeare auf dem Klo stattfinden zu lassen.

Was hat Sie an „Blasted“ fasziniert?

Die Frage stellt sich immer, was man auf dem Theater eigentlich erzählen will. Verfolgt man eine bestimmte ästhetische Schiene, schöngeistige philosophische Gedanken, oder will man auch in gewisser Weise politisch mit sich selber umgehen? Und ich will letzteres, egal ob bei zeitgenössischer oder historischer Dramatik. „Blasted“ kommt über den konkret sozialen Stoff auf ein Weltthema: was wir in dieser Welt zulassen, wie wir den Leuten beim Verhungern und Kriegführen zugucken, ob uns das berührt und wie das auf uns zurückfällt. Und das ist eine Energie, die dramaturgisch sehr schwer umzusetzen war. Hier haben wir ja nun mal gerade keinen Bürgerkrieg, hier platzen keine Bomben, im Gegensatz zu Großbritannien. Ich fand, da mußten manche Dinge einfach noch mal auf der Bühne fürs Publikum übersetzt werden, ohne daß Sarah Kanes Grundenergie verlorengeht.

Ihre „Übersetzungen“ gingen in der Gewalttätigkeit über die Vorgaben des Textes hinaus.

Eigentlich bin ich ja überhaupt kein Gewaltfreak oder wahnsinnig hardcoremäßig drauf, aber ich inszeniere bewußt Sachen, die ich selber nicht aushalte. Manche meiner Theatersituationen kann ich mir auch selber gar nicht zweimal anschauen. Ich denke, wenn ich solch eine hohe Temperatur bei mir zulasse, dann kann sie eventuell auch das Publikum erreichen.

Aber das Publikum soll nicht nur fühlen, sondern auch denken.

Ja, für bestimmte Sachen suche ich nach Übersetzungen, die dem Zuschauer ermöglichen, auch eine eigene Phantasie dazu zu entwickeln. Und ich denke, daß ich auch immer radikaler mit der Rezeptionsfreudigkeit des Publikums umgehe. So möchte ich zumindest vermitteln, daß Theater direkt berühren kann, ohne jetzt den puren Horror rauszufahren, sondern Bilder so entstehen zu lassen, daß sie über Irritation den Zuschauer emotional bewegen. Zum Beispiel, indem man unerwartete Assoziationen herstellt, oder auch dadurch, daß der Theaterraum selbst mal in Frage gestellt wird. In diesem Punkt verstehe ich Frank Castorf als meinen Mentor.

Auch als Ihr Vorbild?

Natürlich ist das Theater von Castorf sehr wichtig für mich, gerade, weil es von abstrakten Bildern und Modellen ausgeht. Aber ich glaube, es gibt einen wichtigen Unterschied, und der betrifft die Grundemotionalität auf der Bühne: Bei Castorf werden Emotionen als intellektuelles Ereignis in die Köpfe verlagert. Ich dagegen versuche immer, Gefühle ganz unmittelbar entstehen zu lassen.

Am Freitag hat Ihre neue Inszenierung „Tränen Spotten“ Premiere. Diesmal nennen Sie es gleich vorsichtig „nach Motiven von Ferdinand Bruckner“. Haben Sie sich mit dem Ärger um „Blasted“ arrangiert?

Natürlich wäre das schön, wenn ich das alles jetzt locker und großmütig wegstecken könnte. Aber meine Inszenierungen laufen nun mal nicht fest in irgendwelchen Spielplänen. Und solange ich solche Off-Theater-Produktionen wie jetzt mit „Tränen Spotten“ im Theater unterm Dach mache – mit winzigem Budget, Schauspielern, die gleichzeitig noch in anderen Projekten zugange sind, und bei denen ich selbst noch das Bühnenbild bastle, das Licht einstelle und die Requisiten einkaufe –, ärgert es mich eben, wenn jemand wie Thomas Ostermeier, der auf die Strukturen eines Ensemble-Theaters zurückgreifen kann, sich dafür einsetzt, daß mir die Aufführung eines Stückes verboten wird. Dabei kommen sich unsere Ästhetiken noch nicht mal in die Quere! Ich verstehe einfach nicht, weshalb man gerade unter jungen Regisseuren nicht einfach sagen kann: Okay, jeder macht sein Ding, aber Schulter an Schulter. Interview: Eva Behrendt