Out-of-area-Einsatz per Kurzwelle

Weil das US-finanzierte Radio Free Europe von Prag aus neuerdings in den Iran sendet, zieht die Regierung in Teheran ihren Botschafter aus Tschechien ab. Die Redakteure des Senders sitzen zwischen allen Stühlen  ■ Von Thomas Dreger

Einst war es eine der schärfsten Waffen der USA im Kalten Krieg. Aus München sendete Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE/RL) hinter den Eisernen Vorhang und verbreitete die Botschaft vom Kampf der freien Welt gegen die gottlosen Kommunisten. Finanziert wurde der Sender vom US- Kongreß und von der CIA.

Antikommunistische Propaganda für Polen, Tschechien oder Ungarn ist längst nicht mehr nötig, doch Radio Free Europe gibt es immer noch – nicht mehr in München, sondern seit 1995 in Prag. Das Hauptquartier ist das ehemalige Parlamantsgebäude der ČSSR, ein mit realsozialistischem Charme gebauter schwarzer Block mit Spiegelglasscheiben in der Prager Innenstadt. Hinein kommt nur, wer eine Anmeldung hat und zuläßt, daß sein Gepäck durchleuchtet und sein Körper elektronisch abgetastet wird. Als hätte der Kalte Krieg nie aufgehört.

Man habe festgestellt, daß viele der ehemaligen Ostblockstaaten zwar nicht mehr kommunistisch seien, aber auch mitnicht demokratisch, referiert der tschechische Verwaltungsdirektor Jan Obrmann die offizielle Begründung für den Weiterbetrieb. Der inoffizielle Grund ist profaner: Man habe doch nicht einfach den Laden dicht machen und die Belegschaft in die Arbeitslosigkeit entlassen können. Ähnlich wie die Nato schauten sich die Macher von RFE/RL nach dem Zusammenbruch des Ostblocks nach neuen Betätigungsfeldern um. Zuerst begann man mit Sendungen in das ehemalige Jugoslawien, auf kroatisch, serbisch und bosnisch. Seit dem 30. Oktober werden in Prag auch Programme für den Irak und den Iran produziert – eine Art Out-of-area-Einsatz per Kurzwelle.

Die Ausweitung des Programms sorgt für Aufregung. „Eklatante Einmischung in Irans innere Angelegenheiten“, „Verstoß gegen das Völkerrecht“, „Terroristischer Akt der Amerikaner“ schallte es schon vor Sendestart aus Teheran. Und der selbst unter UN-Embargo stehende Irak drohte Tschechien wenig überzeugend mit Wirtschaftssanktionen.

„Stimme des freien Irak“ heißt das in Richtung Bagdad gesendete Programm. Die für den Iran bestimmten Sendungen firmieren dagegen neutral als „Persischsprachiges Programm“. Im November vergangenen Jahres beschloß der US-Kongreß, das Programm einzurichten, um iranische Oppositionelle zu unterstützen. Die US-Regierung, die selbst den Auslandssender Voice of America betreibt, hielt nicht viel von dieser Idee: Man befürchtete, aggressive Sendungen würden das Verhältnis zum Iran noch weiter verschlechtern. Schließlich war einer der vehementesten Fürsprecher des Programms der Iranfresser Alfonse D'Amato – der konservative Senator von New York, der jedoch kurz nach Sendestart abgewählt wurde.

Auch sonst hat sich einiges geändert: Nun heißt es plötzlich in den USA von konservativer Seite, der persische Dienst sei viel zu iranfreundlich. Hauptanstoß ist der Chef des Programms, Steve Fairbanks. Hardlinern gilt er als zu iranophil. In den 60er und 70er Jahren arbeitete er fast acht Jahre im Iran, erst als Freiwilliger des Peace Corps, danach als Lehrer an der Internationalen Schule in Teheran. In den letzten Monaten plädierte Fairbanks, der auch schon für die CIA gearbeitet hat, mehrfach für eine Annäherung der USA an die Islamische Republik.

Die Redakteure pochen auf ihre Unabhängigkeit: „Wir wollen auf keinen Fall Sprachrohr der US- Regierung oder irgendwelcher exilranischen Oppositionellen sein“, sagt ein leitender iranischer Mitarbeiter, der seinen Namen nicht gedruckt sehen will, denn: „Ich bin noch iranischer Staatsbürger.“ Nicht Propagandavorgaben, sondern politische Überlegungen bestimmen die Linie der Berichterstattung – Verwaltungschef Obrman: „Die positiven Entwicklungen im Iran seit der Wahl Chatamis bedürfen der Unterstützung, und genau diese Unterstützung gedenken wir zu geben.“

In Teheran scheint diese Botschaft allerdings noch nicht angekommen zu sein. Anfang vergangener Woche rief sie aus Protest gegen die Sendungen ihren Botschafter aus Prag zurück. Nun kündigte Außenminister Kamal Charrasi an, seine Regierung werde beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag gegen die Sendungen protestieren.

Die Macher von RFE/RL erlebten noch eine andere Überraschung: Ihre Gastgeber wechselten. Tschechiens konservative Regierung unter Václav Klaus hatte keine Bedenken gegen die Programme für den Nahen Osten. Schließlich war der Sender in Tschechien immer willkommen: Hatte doch der jetzige Präsident Václav Havel, als er noch Dissident war, für das Programm gearbeitet. Die seit Juni regierenden Sozialdemokraten sehen die Sache freilich anders. Man sei nicht an der Entscheidung beteiligt gewesen – und eigentlich wolle man gar nicht, daß das Programm in Prag produziert wird – und wenn schon, dann wolle man Mitspracherecht bei der Programmgestaltung, ließ der neue Regierungschef Miloš Zeman verlauten. Daraufhin schaltete sich Präsident Havel persönlich ein: Es wirke seltsam, wenn man von den USA erwarte, „daß sie die Botschaft der Freiheit verbreiten, wenn es um uns geht“, dann aber Hilfe verweigere, wenn es um andere ginge.

Dennoch verzögerte der Streit den Sendebeginn um zwei Monate. Erst als US-Abgeordnete Tschechiens Außenminister Jan Kavan am Rande eines Staatsbesuchs in Washington drohten, man könne mit dem ganzen Sender ja wieder zurück nach München ziehen, gab die Regierung in Prag grünes Licht.

In Tschechien blieb die Angst vor Anschlägen. Die Tageszeitung Lidove Noviny berichtete am Sonntag von Planungen iranischer Terroristen. Auf Anraten der Regierung wollte RFE/RL die Studios für die Nahostprogramme auslagern – in die ehemalige Residenz des kubanischen Botschafters im Diplomatenviertel Bubenec. Man nehme „Sicherheitsfragen sehr ernst“, erklärt Obrman. Kein Wunder, zerstörte doch 1981 eine Bombe ein Drittel des damaligen Hauptquartiers von RFE/RL in München. Da bekamen auch die Bewohner von Bubenec Angst und protestierten. Nun werden die Nahostdienste doch im Hauptquartier produziert, nahe dem stark bevölkerten Wenzelsplatz.

Erstaunlicherweise beschränken sich die Proteste aus Teheran bisher auf Tschechien. Dabei werden die Programme von RFE/RL dort nur produziert. Gesendet werden sie wie früher über Sendeanlagen in Deutschland.