■ Getanzte Tarnkappe Wohnungslosigkeit
: Nach intensiven Recherchen vielerorts rückt die Choreographin Angela Guerreiro mit Be nice or leave. Thank you gewollt Nicht-Gesehenes auf der Bühne ins Blickfeld

Die Augen unscharf stellen, vorbeigehen, weghören: Die übliche Reaktion von Wohnungsinhabern, die auf Obdachlose treffen. Selbst wer auf Anfrage die Mark zückt, braucht nicht genau hinzusehen. Die Tarnkappe, die das unbehauste Leben strickt, funktioniert perfekt.

Mit der Tanzperformance Be nice or leave. Thank you will Angela Guerreiro die ungewollt „Unsichtbaren“ ins Blickfeld rücken. Auch sie hat zunächst sich und andere Widerstände überwinden müssen, als sie an ihrem neuen Stück arbeitete. Zusammen mit der Fotografin Bettina Clasen recherchierte die Choreographin zwischen Juni und Dezember 1997 in Berlin, Paris, Budapest und Hamburg. Die beiden Frauen suchten Kontakt zu Menschen, die auf der Straße leben: Zum Beispiel in der Mission des Schauspielhauses oder unter einer Brücke bei der Admiralitätstraße. Vertrauen zu gewinnen, war oft schwierig. Einige der Angesprochenen waren mißtrauisch, befürchteten, nicht ernstgenommen zu werden: Tanztheater? Das ist doch Schönheit und Leichtigkeit; was hat das mit uns zu tun? Die Hand hat sie jedem geschüttelt, aber bei manchen fiel es ihr schwer.

Die portugiesische Tänzerin und Choreographin lebt – und wohnt – seit 1994 in Hamburg. Ihre letzte große Produktion FADE – A Triptych of stolen stories von 1996 war ein vielbeachteter Erfolg auf Kampnagel und wurde als deutscher Beitrag für das internationale Tourneeprojekt Dance Roads 1997/98 ausgewählt. Persönliche Erfahrungen – ihre eigenen und die ihres Ensembles – läßt Angela Guerreiro stets und gerne in ihre Arbeit einfließen. Das neue Projekt war jedoch eine besondere Herausforderung: Referenzen von der Straße haben weder sie noch die zwei Tänzerinnen und zwei Tänzer vorzuweisen.

Umso wichtiger waren die Geschichten, die sich Guerreiro von den Redewilligen erzählen ließ. Sie glaubte, wie sie sagt, auch den unwahrscheinlichsten Märchen, direkt nacherzählt hat sie keines. Statt eine Portraitstudie zu entwerfen, versuchte sie, adäquate fiktionale Bilder zu finden. Bloße Nachahmung kam für die Choreographin auch aus einer anderen simplen Ursache nicht in Frage: „Die Leute bewegen sich nicht so viel.“ Doch schon die Beobachtung der Art, wie jemand sitzt oder den Kopf hebt, könne zum richtigen Ergebnis führen: Einer Bewegung mit einem klaren Kontext und einem einleuchtenden Grund. Entstanden, so eine Kritikerin nach der Berliner Uraufführung im April, ist „Theater der physischen Vehemenz“.

Barbora Paluskova

Do, 12. – So, 15. und Di, 17. – Sa, 21. November, 20 Uhr, Kampnagel k1