■ Filmstarts à la carte: Kultur und Geist
Einhundert Jahre alt wäre René Clair am gestrigen Tage geworden. Aus Anlaß dieses Jubiläums zeigt das Filmkunsthaus Babylon in den kommenden Wochen eine kleine Reihe mit Werken des französischen Regisseurs, der Anfang der dreißiger Jahre trotz größter Bedenken gegen den „unnatürlichen“ Tonfilm zu einem seiner originellsten Pioniere avancieren sollte. Clairs Filme erzählen vom Leben der sogenannten kleinen Leute: von ihren Hoffnungen und Träumen ebenso wie von den Enttäuschungen. Sozialsatire verbindet sich dabei mit Operette und Fantasy- Elementen zu kleinen, poetischen Meisterwerken, die bei allem Witz und Charme auch die bitteren Untertöne nicht verleugnen. Kurzum: Clairs Filme besitzen einen „typisch“ französischen Esprit.
Den wußten seine Landsleute allerdings nicht immer zu würdigen. Als „Le dernier milliardaire“ 1934 kläglich floppte, ging Clair nach England, wo er im folgenden Jahr die charmante Geisterkomödie „Gespenst auf Reisen“ („The Ghost Goes West“) in Angriff nahm.
Zwar mag das Milieu schottischer Schloßgespenster und jahrhundertealten Adels dem Regisseur etwas fremd angemutet haben, doch im Grunde geht es auch hier um „kleine Leute“: Der Schloßherr ist nämlich pleite und muß den Ahnsitz verkaufen, da seine biederen Gläubiger ihn auf Schritt und Tritt bedrängen. Und die Käufer stellen sich als neureiche und ein wenig beschränkte Amerikaner heraus, die das Schloß mitsamt Geist als Werbegag nach Florida verschiffen wollen. Vor allem die kulturlosen Amis (wunderbar: Eugene Pallette als ebenso jovialer wie angeberischer Neueigentümer des alten Gemäuers) trifft der ganze Spott des zivilisierten Europäers: Das wiederaufgebaute Schloß steht unter Palmen, die Ritterrüstungen sind zu Radios umgebaut, und eine „Negerkapelle“ bietet in Schottenröcken lateinamerikanische („echt schottische“) Rhythmen dar. Der Geist ist derart entsetzt, daß er schließlich unsichtbar bleibt: „Amerika im Frieden ist schlimmer als Schottland im Krieg.“
Jüdisches aus Wien steht dieser Tage in Berlin hoch im Kurs: Neben der Ausstellung „Sag beim Abschied...“ mit der Sammlung von Robert Dachs im Deutschen Historischen Museum spürt auch die Filmreihe der 12. Jüdischen Kulturtage Leben und Wirken jüdischer Künstler in – und ihre Auseinandersetzung mit – der Donaumetropole nach.
So siedelten der ungarische Emigrant Emeric Pressburger und sein Partner Michael Powell im Jahre 1955 Johann Strauß' Operette „Die Fledermaus“ unter dem Titel „Oh... Rosalinda!!“ im unter der Verwaltung der vier Siegermächte stehenden Nachkriegswien an, um den Alliierten – kurz vor der Unterzeichnung des Staatsvertrages und der faktischen Wiedererlangung der Souveränität Österreichs – durch den großen Adolf Wohlbrück in seiner Rolle als Dr. Falke ein charmantes, aber nachdrückliches „Auf Wiedersehen“ zuzurufen: „Kommt als unsere Gäste wieder. Aber... bitte geht!“
Lars Penning
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