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: Musik in der Murmel

■ Ob mit Piano, Akkordeon oder zur Fiedel: Literatur ohne störende Nebengeräusche

„Musik wird störend oft empfunden, weil sie mit Geräusch verbunden“ – das ist eine jener Wilhelm-Busch-Sentenzen, die inzwischen in den fraglosen Regionen höherer Wahrheit siedeln. Das Störende an Musik läßt sich allerdings nicht nur per Kopfhörer minimieren, es läßt sich sogar völlig ausschalten, greift man zu Büchern, die sich mit dem Thema befassen. So gut nämlich, wie Literatur Kino im Kopf ist, so gut kann sie auch Musik in der Murmel sein.

Apropos Kino: Verfilmte Literatur ist ein unseliges Kapitel für sich. Noch unseliger sind freilich jene Bücher zum Film, die versuchen, aus einem Kinoerfolg Literatur zu machen. Das funktioniert nie, selbst wenn, wie im Fall von „Das Piano“, die Regisseurin Jane Campion selbst Hand anlegt. Aus dem eindrucksvollen Film der Neuseeländerin wird hier in Koproduktion mit der kanadischen Autorin Kate Pullinger eine matte Schmonzette, in der die wunderbar zwielichten Bilder des Films nur noch flach wirken – und musikalisch klingt es leider auch nicht mehr.

Zwar steht zu befürchten, daß E. Annie Proulx' Bestseller „Das grüne Akkordeon“ demnächst verfilmt wird, aber Buch bleibt Buch. Und weil es sich bei der merkwürdigen Biographie eines Akkordeons, das um die Jahrhundertwende mit seinem sizilianischen Besitzer in die USA „einwandert“, im Lauf der Jahrzehnte von Hand zu Hand geht, bis schließlich eine Art panoramatische Geschichte der Vereinigten Staaten unter sehr musikalischen Vorzeichen entstanden ist, wirklich um ein starkes Stück Literatur handelt, wird eine Verfilmung nichts daran ändern können. Übrigens handelt es sich bei dem Roman um den ersten Band der neuen, sehr schön und solide gemachten Taschenbuchreihe „Diana“, mit der der Heyne-Verlag mutig auf „höherwertige“ Literatur setzt.

„Ich hatte die Musik gefunden. Eines Tages begegnete sie mir. Kam zu mir, während ich spielte. Vor langer, langer Zeit. Plötzlich war da mehr. Es war ein Wunder. Die Musik lebte, die Noten waren plötzlich keine Noten mehr. Das Instrument atmete.“ So jubelt in Lars Amund Vaages Roman „Rubato“ der Erzähler, ein von Schaffenskrisen geschüttelter Pianist, dem sich seine Kunst (und, natürlich, die Liebe) erst endgültig erschließt, nachdem er jahrelang als Lkw-Fahrer „das richtige Leben“ erfahren hat. Der norwegische Roman ist eine deutsche Erstausgabe und zeigt einmal mehr, daß in Skandinavien leichthändiges Erzählen ohne Peinlichkeit und Kitschgefahr gepflegt wird.

Ich gestehe, daß ich gelegentlich gut gemachte Country&Western-Musik ganz gut ertragen kann, und vielleicht ist das auch der Grund, warum ich Mary Ann Taylor-Halls Roman „Das Kind der Geigerin“ gar nicht so schmalzig finde, wie er stellenweise wohl ist. Der amerikanische Originaltitel lautet „Come and go, Molly Snow“, wobei man die Slide-Gitarre sozusagen jaulen hört. Das Ganze dreht sich jedenfalls um die Fiedlerin einer C & W-Band und ihr wechselvolles, melodramatisch ziemlich dick aufgetragenes Schicksal. Aber die Hintergründe des C & W-Business, die hier unsentimental einfließen, geben dem Buch doch eine gewisse, realistische Härte.

„Mit fast geschlossener Faust schlug er auf die Saiten der Black Diamond und flehte voll langsamer, inniger Schwere don't croai for a black hart, beiby, ai seid', um dann, die Strophe leicht variierend, ins fast Unhörbare hinabzugleiten und ganz im Blues und einem vielsagenden Summen aufzugehen, dem langsamen Ton eines Lebens auf halber Flamme, einem Ton, der kaum je auflohte, aber als feines, stechendes Feuer den Unterleib verzehrte...“ So steht's in dem schönen kleinen Roman „Die Ballade von Johnny Sosa“ des uruguayischen Autors Mario Delgado Aparain; und wenn man überhaupt den Blues erzählen kann, dann wohl so, in dieser parabelhaften Lebensgeschichte eines schwarzen Bluessängers.

Blues und C & W-Musik waren bekanntlich Wurzeln des Rock'n'Roll. Allerdings hat „die weiße Rockmusik längst alles verloren, was einst ihre visionäre Kraft, ihre poetische Brillanz, ihr stilistisches Integrationsvermögen ausmachte. (...) Afrikanisch-amerikanische Rap-Musik hingegen hält sich mit Zorn und Ironie an die grimmige Wirklichkeit.“ So stand es 1989 im legendären Rock-Lexikon zu lesen. Autor dieser Zeilen war der inzwischen verstorbene amerikanische Musikpublizist und Mitherausgeber Barry Graves. Bei rororo ist jetzt eine völlig überarbeitete und wesentlich erweiterte Neuausgabe dieses Klassikers der Rock-Literatur erschienen, in zwei Bänden mit über 1.200 Seiten. Allein schon wegen seines über 60seitigen Literaturverzeichnisses gehört das Rock-Lexikon in jeden Bücherschrank oder jedenfalls ins CD-Regal.

Ob da auch James Woodalls Pärchen-Monographie über John Lennon und Yoko Ono hingehört, wage ich aber zu bezweifeln. Wen diese Liaison seinerzeit interessiert hat, und sei es nur, weil man mit Yoko Ono einen Sündenbock für das Auseinanderbrechen der Beatles brauchte, dem wird hier wenig bis gar nichts Neues aufgetischt. Und es bleibt zu hoffen, daß nie geschehen möge, was der Autor am Schluß seines Buchs andeutet: daß nämlich die Beatles ein weiteres Mal Demobänder John Lennons „aufarbeiten“. John Lennon ist tot, seine Musik lebendig. Es gibt Musiker, da wünschte man sich das eher umgekehrt. Klaus Modick

E. Annie Proulx: „Das grüne Akkordeon“. Diana TB

Mary Ann Taylor-Hall: „Das Kind der Geigerin“. Serie Piper

James Woodall: „John Lennon/ Yoko Ono“. rororo

Lars Amund Vaage: „Rubato“. Ullstein TB

Jane Campion/Kate Pullinger: „Das Piano“. Serie Piper

Mario Delgado Aparain: „Die Ballade von Johnny Sosa“. Fischer TB

Graves/Schmidt-Joos/Halbscheffel: „Das neue Rock-Lexikon“ (2 Bände). rororo