Irgendwie pervertiertes Glück

Britischer Humor: Wenn die Heldin am Rand des Grabs steht und sich vor ihr die Gewinne aus dem Groschengrab häufen. Nick Hurrans „Girls' Night“  ■ Von Ulf Erdmann Ziegler

Eine späte, aber wirksame Zutat dieses Film ist Kris Kristoffersons bizarres Echsengesicht: Der amerikanische Cowboy nicht als Mythos der Naturverbundenheit, sondern als kleinere Lebenslösung eines Mittelständlers jenseits der Katastrophe von Vietnam. Cody heißt er, in diesem Film. Dieser Mann, mit seinem musikalischen Temperament, ist die Entdeckung zweier englischer Frauen namens Jackie und Dawn, die sich als Cowgirls in der Pyramide von Las Vegas eingemietet haben. Als sie einmal beobachten, wie er einem Pferd das Vorderbein massiert, bemerkt Jackie: „If he treats a woman like he treats that horse, he's a pretty good catch.“ Dieser Satz, so wie alle anderen, stammt aus der Werkstatt einer Drehbuchschreiberin namens Kay Mellor, die mehr als nur ihr Handwerk kann. Sie schüttet die Sentenzen aus ihrem Füllhorn, und wir dürfen baden in einer Sprache, die getränkt ist mit den Farben des Sozialen. (Der Besuch eines OmU wird also dringend empfohlen.)

Frau mit großer Nase

Kay Mellor ist kein Kind von Traurigkeit. In der Ausgabe der Sonntagsbeilage des Independent vom 7. Juni dieses Jahres sieht man sie mit ihrer Kollegin Jude Kelly Rücken an Rücken auf einer Alukiste sitzen, zwei lächgrinselnde Frauen mit großen Nasen in der Garderobe eines Theaters, mit Blumenbouquets feierlich auf Premiere getrimmt. Mellor ist nämlich nicht nur Drehbuchautorin – ihr großer Durchbruch im britischen Fernsehen war das Prostitutionsdrama „Band of Gold“ –, sondern auch Schauspielerin und Theaterautorin in einem. Im West Yorkshire Playhouse in Leeds, der Stadt, in der Mellor vor 45 Jahren geboren wurde, gab sie im Sommer „Queen“, ein Einpersonenstück, von ihr geschrieben und gespielt. Sie gehört zum neuen Kulturestablishment des Vereinigten Königreichs: prolo von Herkunft, mit großem Herzen, extrem professionell. „Ihre Offenheit“, sagt die Kollegin, „könnte man für Naivität halten, aber das ist es nicht.“

Ganz gewiß nicht. „Girls' Night“ ist eine Tragikomödie, die von gestandenen Frauen handelt. Diese sind verheiratet, knechten in der Halbleiterfabrik, finden sich keifend und kreischend beim Bingospiel zusammen und werden vom Schicksal getrennt.

Die Angstlosigkeit, mit der ein 38jähriger Regisseur namens Nick Hurran die Milieus abgrast, sich nicht schrecken läßt von industrieller Tristesse und kommerziellem Schund, ist ganz auf der Höhe der brillanten Dialoge. Wie die Tür eines Mikrogrills zufällt und die Benutzerin, in Lockenwicklern, in der Spiegelung erscheint.

Im Zentrum steht die Geschichte der milden, immer verzeihenden, kichernden Dawn und ihrer Schwägerin Jackie, eines lebenslustigen Biests mit Neigung zum Kuppeln und zum Fremdgehen. Da sitzen sie mit vielen Frauen in blauen Kitteln in einer hellbeleuchteten Halle und rocken zu Roy Orbisons „Pretty Woman“, während sie elektronische Standardware montieren. Das ist die einzige Stelle des Films, die wie Musical aussieht.

Frau mit Lover

Ein gewaltiger Gewinn beim Bingospiel müßte das Leben von Dawn drastisch verändern, aber haut vor allem Jackie aus der Bahn. Sie bekommt nämlich einen Teil des Gewinns. Den nutzt sie, um ihren Mann zu verlassen und die Fabrik ebenfalls. In der Wohnung ihres Lovers spielt sie fortan eifersüchtige Hausfrau, was nicht gutgehen kann und nicht gutgeht. Ihre Schwägerin Dawn aber sackt in der Fabrik schüttelnd unter die Werkbank und muß im Krankenhaus lernen, daß sie einen Hirntumor hat. Sie beginnt die harte Therapie und bricht sie ab; ihrem Mann sagt sie nichts, er kommt nicht drauf. Die Kinder sind mit Zank beschäftigt.

In der epischen Breite von „Girls' Night“ haben die Genres bequem Platz: die Komödie, der Problemfilm, das Melodram und die Tragödie, auf die es hinausläuft. Das einzige wirkliche Manko ist die bei weitem zu billige Tastenmusik, die den großen Momenten bisweilen die großen Gefühle auszusaugen droht; dennoch ist die Mitnahme einer Packung Tempo anzuraten.

Die Schärfe, mit der Frauen der working class in ihren Mittvierzigern beobachtet werden, macht die Kraft des Filmes aus: sarkastisches Ungeheuer und ewiges Mädchen. Jackie ist mehr die eine, Dawn mehr die andere. Julie Walters' Fassung der lüstern ergrauenden Was-kostet-die-Welt-Jackie ist abgründig. Dawns introvertierter Verzicht kommt als veritable Leinwandsensation daher – denn das, was Brenda Blethyn liefert, hat mit dem Bild der Kinoschauspielerin nichts, aber auch gar nichts zu tun. Die Abwesenheit vom Glamour hat selbst schon wieder etwas Glamouröses.

Das Gegenbild der Welt von Fabriken, Hypotheken und immer flackernden TV-Bildschirmen ist „to take a bloody Holiday“, und die Dream-come-true-Reisen führen zu den bekannten Zielen. Im Fall von Jackie und Dawn muß es Las Vegas sein, weil eine US- Firma einen Teil des Filmbudgets beigesteuert hat. Was Nick Hurran daraus macht, ist umwerfend: ein gänzlich banaler Ort wie der Las Vegas Strip wird zum Schauplatz schrecklicher Wunder. Dawn, vom Sterben nicht mehr weit entfernt, leert die einarmigen Banditen; und die stürzenden Vierteldollarstücke zeigen sich als bleischwere Boten eines irgendwie pervertierten Glücks. Es ist in jeder Hinsicht zum Schreien.

Frau mit Erinnerung

Der Film ist dem Andenken einer Freundin Kay Mellors gewidmet, die ihr kurz vor ihrem Tod jene Geschichte anvertraute, die dann Mellor in dieses feine Stück Filmliteratur verwandelte. Frage an die Drehbuchautorin: „Wie lange nach dem Tod Ihrer Freundin haben Sie begonnen, daran zu arbeiten?“ „Ja – so nach fünf Tagen?“

„Girls' Night“ ist ein intensiver Kinofilm über Fabrikfrauen und Familienmütter, aber die Männer – in den Nebenrollen – sind keineswegs die Dussel. Die Trauer dessen, dem Dawn wegstirbt, und die Niederlage seines Schwagers, der Jackie trotz Selbstkritik, Einsicht und Reue nicht zurückgewinnen kann, wird nicht übergangen. Komik am Rande des Grabs ist ein britisches Genre von Tradition; Kay Mellor hat es übersetzt in die Gegenwart.

„Girls' Night“. Regie: Nick Hurran. Mit Brenda Blethyn, Julie Walters, Sue Cleaver, GB/USA 1997, Farbe, 112 Min.