Der Marktwert der Bildung

Eine Synthese aus Bildungstradition und Management: In Essen sprachen Hochschulvertreter mit Wirtschaftsleuten über das „Unternehmen Hochschule“  ■ Von Isabelle Siemes

Vorbei ist's mit „stiller Einfalt, edler Größe“, es geht immer mehr darum, den Geldwert deutscher Bildung auszuhandeln. Über das „Unternehmen Hochschule“ diskutierte die Crème de la crème aus Wissenschaft und Wirtschaft in der Kruppschen Villa Hügel in Essen, geladen vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft: Partnerschaften mit der Privatwirtschaft sollen den Universitäten das wegen leerer Länderkassen fehlende Geld und der Wirtschaft anwendbare Forschungsergebnisse einbringen. Soweit waren sich die ausgewählten Hochschulrektoren, Wirtschaftsvertreter, Stiftungspräsidenten und Politiker einig. Das Problem allerdings: Die Privatwirtschaft will Exklusivrechte auf Forschungsergebnisse, die Hochschulen sind aber als öffentliche Einrichtungen dem Gemeinwohl verpflichtet und haben zudem einen Lehr- und Bildungsauftrag.

„Wissenschaft darf nicht zur Werkbank der Industrie degradiert werden“, warnte Walter Kröll, Vorsitzender des Forschungszentrums für Luft und Raumfahrt. Bei der öffentlich-privaten Kooperation sollen Unis als gleichberechtigte Partner auftreten – anders als etwa bei der Auftragsforschung. „Hochschulen haben ein unterentwickeltes Marketing. Sie begreifen gar nicht, was sie herstellen“, erklärte Klaus Landfried, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz. Doch bei den anwesenden Professores hat sich marktwirtschaftliches Denken längst durchgesetzt. Ihre Produkte heißen Wissen, Forschungsergebnisse und Erfindungen sowie hochqualifizierte (Aus-) Bildung. „Wir haben Kunden in Lehre und Forschung, deshalb sollten die Hochschulen Unternehmen gründen“, forderte Professor Hans-Jürgen Ewers, Präsident der TU-Berlin.

Geschäftstüchtige Akademiker

Der Homo academicus ist also längst nicht mehr weltentrückt, sondern ziemlich geschäftstüchtig. So verlangten die Akademiker eine finanzielle Beteiligung der Wirtschaft an Grundlagenforschung, schließlich fließe die auch in Anwendungsentwicklung für die Industrie ein. Die Industriellen insistierten hingegen auf dem Exklusivrecht an den von ihnen mitfinanzierten Forschungsergebnissen. Günter Stock von der Schering AG forderte: „Öffentliche Gelder sollen auch vergeben werden, wenn die Wirtschaft davon profitiert.“ Forschungskooperationen seien nämlich selten zu 100 Prozent von der Wirtschaft finanziert, meist steckten öffentliche Gelder drin. In manchen Fällen sei sogar „die Wissenschaft selbst Auftraggeber der Wirtschaft“, erläuterte Gerhard Wegener von der Max-Planck-Gesellschaft. Ernst- Ludwig Winnacker, Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, plädierte für Veröffentlichungen im Internet.

Differenzen zwischen den beiden Geschäftspartnern zeichneten sich auch hinsichtlich der Lehre ab. Die soll „praxisorientierter“ werden – darin waren sich die 35 Herren und zwei Frauen einig. Der strittige Punkt: Die Wirtschaft will Berufsausbildung, die Lehrenden dagegen sehen sich als „Schmiede der Köpfe“. Die Brücke zwischen Bildungsideal und moderner Wissensvermarktung schlug Hauke Trinks, Präsident der TU Hamburg: „Wir müssen Humboldt vermarkten, das ist Bildung Made in Germany.“ Humboldt stehe für Gründlichkeit und Durchdringung – auch für Grundlagenforschung, so Trinks. Er will Bildungstradition und Management verbinden – Voraussetzung dafür sei ein „Globalhaushalt“ für jede Uni.

Keine Anpassung an kurzfristige Lernziele

Die Vorschläge für eine praxisorientierte Ausbildung: Trainee- Programme, Jobbörsen, Existenzgründer-Seminare und duale Ausbildung, wie sie an Fachhochschulen für Ingenieure und Informatiker bereits praktiziert wird. Vor einer zu starken Anpassung der Lehre an die kurzfristigen Marktziele der Wirtschaft warnte Winfried Schulze, Vorsitzender des Wissenschaftsrates. Die Studierenden sollen künftig bei ihrer Ausbildung auch selbst in die Tasche greifen. „Durch Studiengebühren können Unis selbständig werden“, ist sich Hans-Jürgen Kaschade von der FH Altmark sicher. Aber auch an den Beinen der Lehrstühle wird bereits gesägt: mit Stellen für nicht habilitierte Praktiker.