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Rumäniens Regionen haben Bukarester Zentrale satt

■ Nicht nur in Siebenbürgen wird der Ruf nach mehr Autonomie und lokaler Selbstverwaltung immer lauter. Die politischen Eliten der Hauptstadt fürchten bereits den Zerfall des Staates

Bukarest (taz) – „Ich habe Rumänien satt!“ Unter diesem Titel veröffentlichte ein rumänischer Journalist kürzlich ein Manifest, in dem er gegen Zentralismus und für eine größere Unabhängigkeit Siebenbürgens innerhalb des rumänischen Staates plädiert. Der Text machte in Rumänien ungewöhnliche Furore und empörte vor allem Politiker. Denn er stellt in provozierender Weise einen Mythos in Frage, der im öffentlichen Diskurs der rumänischen Gesellschaft als sakral gilt: die gemeinsame Geschichte, die Einheit und den unteilbaren Nationalstaat des rumänischen Volkes.

Das Manifest von Sabin Gherman, der beim rumänischen Staatsfernsehen TVR im siebenbürgischen Cluj (Klausenburg) arbeitet, liest sich als diffuser Ausbruch lang aufgestauter Frustrationen und erhebt keine klaren politischen Forderungen. Gherman verspottet die Mythen der rumänischen Geschichte und macht für die Korruption und die sozialökonomische Misere den Landessüden und die Bukarester Staats- und Verwaltungszentrale verantwortlich. Sein Schluß: „Europa und Siebenbürgen enden irgendwo an den Karpaten. Außer der Sprache und schlechten Straßen haben wir nichts gemein. Ich habe Rumänien satt und will mein Siebenbürgen.“

Sabin Gherman hat sein Manifest in einer Zeit publiziert, in der in Rumänien die Unzufriedenheit über ultrazentralistische Staats- und Verwaltungsstrukturen wächst. Er ist nicht die einzige Stimme dieser Art. In Siebenbürgen, der reichsten Region Rumäniens, verlangen nicht nur die meisten der 1,6 Millionen Ungarn mehr Selbstbestimmung. Auch von immer mehr Rumänen sind Wünsche nach mehr Unabhängigkeit oder sogar nach einer Loslösung von Rumänien zu hören. Ähnliche Stimmungen breiten sich auch in der Moldau aus, der ärmsten Region Rumäniens, die sich vom Zentrum vollkommen vernachlässigt fühlt. Ende letzten Jahres gründete der Bürgermeister der moldauischen Metropole Iasi, Constantin Simirad, die „Partei der Moldauer“ – eine Initiative, die wie das Manifest von Gherman große Empörung unter Bukarester Politikern hervorrief.

Entstanden sind regionalistische Stimmungen und politische Initiativen wie des Bürgermeisters von Iasi vor allem dadurch, daß die rumänische Politik keine effektiven Lösungen zur Dezentralisierung anbietet. Begriffe wie Autonomie, lokale Selbstverwaltung, Föderalismus setzen die meisten rumänischen Politiker mit Separatismus und dem Zerfall des Staates gleich. Historische Komplexe erklären solche Reaktionen: Rumänien konnte sich durch die lange Fremdherrschaft erst in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts als Nation konstituieren und erlitt in diesem Jahrhundert mehrfache Territorialverluste.

Aber es geht auch um handfeste ökonomische Interessen: So etwa sperrt sich der aufgeblähte Bukarester Verwaltungsapparat gegen eine Reform der überzentralisierten, für ihn jedoch profitablen Finanz- und Haushaltsstruktur – eine Reform, die seit Jahren immer lauter von den Vereinigungen der Bürgermeister und der Lokal- und Kreisverwaltungen gefordert wird. Bisher erfolglos: Die Verabschiedung von Gesetzen zur Dezentralisierung steht seit Jahren aus.

Schon einmal, im großrumänischen Staat der Zwischenkriegszeit, trug die Ignorierung regionaler Belange zu großen sozialen Konflikten bei – nämlich als nach der Vereinigung von 1918 Wünsche der neuen rumänischen Gebiete Siebenbürgen, Bukowina und Bessarabien nach mehr Eigenständigkeit von der Bukarester politischen Elite abgewiesen wurden.

Kaum anders reagiert die heutige Bukarester Elite. Und das selbst auf ernsthafte Konzepte zur Dezentralisierung und regionaler Zusammenarbeit. Vor einigen Jahren verbot die Regierung die grenzüberschreitende Wirtschaftskooperation rumänischer Kreise in Euroregionen als „Gefahr für die nationale Sicherheit“. Den Zusammenschluß rumänischer Kreise zu innerrumänischen Wirtschaftsförderungsgemeinschaften untersagte sie wegen „Untergrabung der territorialen Einheit“.

Zwar sind diese Verbote aufgehoben. Doch in der Mentalität der Politik hat sich wenig geändert, wie die Reaktionen auf das Manifest zeigen. Gut zwei Wochen nach seinem Erscheinen haben Politiker fast aller Parteien den Text des Klausenburger Journalisten nicht nur verteufelt. Möglicherweise muß Sabin Gherman nun auch mit einem Prozeß wegen Hoch- und Landesverrats oder wegen Aufstachelung zum Separatismus rechnen. Keno Verseck

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