„Von den Medien überbewertet“

■ Fall Dialle D.: Verschleiert Staatsanwältin Zippel Körperverletzung im Amt? Von Silke Mertins

Ruhig und gelassen saß Oberstaatsanwältin Marion Zippel am Dienstag abend vor dem Untersuchungsausschuß der Bürgerschaft. Als der Senegalese Dialle D. im Januar 1994 von zwei Polizisten am Pferdemarkt zusammengeschlagen wurde, war sie zuständig für die Verfolgung von Straftaten, die Polizisten begangen haben. Sie habe ihre Pflicht getan, nichts falsch gemacht oder unterlassen, betonte die Staatsanwältin, die in Insiderkreisen als eine gilt, die sich stets schützend vor straffällig gewordene Polizeibeamte stellt.

„Das waren zwei junge Polizeibeamte, die von einem Kneipenbummel kamen“, beschreibt Zippel den Tathergang. 33 und 28 Jahre alt sind die beiden Polizisten, von denen einer bereits eine „Stammkarriere“ in ihrem Dezernat vorzuweisen hat. Mit Verwunderung nahmen die Abgeordneten zur Kenntnis, daß die Staatsanwältin „keinen Zweifel“ daran hat, daß die Polizisten den Afrikaner in jener Januarnacht zu zweit brutal zusammenschlugen. Schon bald wurde klar, in welche Richtung Zippel wollte: Da waren zwei junge Kerle, von Beruf Polizisten, die in ihrer Freizeit etwas zuviel getrunken hatten, dann zufällig auf Dialle D. trafen und ausrasteten. „Ein typischer Fall, wo Betrunkene sich ein Opfer gesucht haben“, so Zippel.

Daß sich die beiden Schläger als Polizisten ausgaben und die Mütze des Schwarzen mit der Aufschrift „Gib Nazis keine Chance“ beanstandeten, spielt Zippel herunter. Sie will nicht den Eindruck entstehen lassen, daß es sich bei der Polizeimißhandlung um „Körperverletzung im Amt“ gehandelt hat. Das hätte nicht nur für die Polizisten eine wesentlich höhere Strafe bedeutet, sondern als Oberstaatsanwältin hätte sie dann auch eine öffentliche Anklage und eine Hauptverhandlung veranlassen müssen. Tatsächlich erließ sie aber nur einen „Strafbefehl“ – das erheblich kleinere Übel für die Polizisten.

Weder für rechtsradikale Motive, noch dafür, daß sich die Beamten „in den Dienst versetzt“ haben, sieht Marion Zippel irgendwelche Beweise. Die antifaschistische Mütze habe „möglicherweise eine Rolle“ gespielt. Doch ob sich die beiden Polizisten an dem Hakenkreuz gestört haben, an dem St.Pauli-Emblem oder an dem Schriftzug, ist „völlig offen“. Nach Frau Zippels Logik hätte ein Schwarzer, der eine Mütze mit einem Hakenkreuz trägt, auch ein Neonazi sein können, gegen den die antifaschistischen Polizisten einschritten.

Der SPD-Abgeordnete Hakki Keskin, sonst eher ein Leisetreter in Sachen polizeiliche Übergriffe, war am Dienstag im Ausschuß angesichts soviel Unverschämtheit schier sprachlos. Gestern aber, seine Sprache offenbar wiedergefunden, forderte Keskin den Rücktritt der Staatsanwältin: „Frau Zippel ist als Staatsanwältin untragbar.“ Wenn sie die Mütze Dialle D.'s und die Embleme nicht als Anti-Nazisymbol erkennen könnte, „drängt sich der Verdacht auf, daß es der Oberstaatsanwältin Frau Zippel am erforderlichen Aufklärungswillen im Fall Dialle D. mangelte“.

Als Beweis, daß die Polizisten als Privatpersonen und nicht dienstlich zugeschlagen haben, wertete Zippel Dialles Hilferufe nach der Polizei. Als man im Anschluß an die Staatsanwältin die beiden Augenzeugen, eine Taxifahrerin und ein Taxifahrer, vernahm, wurde jedoch ganz klar: Dialle D. glaubte, daß die beiden Schläger Faschisten waren, die sich als Polizisten ausgaben und rief deshalb nach der „richtigen Polizei“.

Letztlich kommt es darauf aber gar nicht an. Gegenüber dem Zeugen Christoph Sch. erklärte der ältere Beamte: „Wir sind von der Polizei und machen eine normale Ausweiskontrolle“ wegen Verdacht auf Drogen und zeigte seinen Dienstausweis. Beide Zeugen haben gesehen, wie die Beamten Dialle auf den Kopf schlugen. Losgelassen haben die Prügelpolizisten den Afrikaner erst, als eine Funkstreife kam, die von einem dritten Zeugen – nach dem nie gefahndet wurde – alarmiert worden war. Dann, so die Augenzeugen, hätten die Schläger versucht, sich aus dem Staub zu machen. Erst auf Christoph Sch.'s und Nina St.'s Drängen hin habe eine Vernehmung stattgefunden.

Mit Staatsanwältin Zippels vornehmer Zurückhaltung ist die Chance vertan, eine Rechtsprechung in Sachen Prügelpolizisten überhaupt erst einmal zu schaffen. Denn: Rechtsprechung zur Körperverletzung im Amt existiert bisher kaum. Marion Zippel hat für die ganze Aufregung kein Verständnis. Die Oberstaatsanwältin und frisch beförderte Abteilungsleiterin auf Probe hält den Fall Dialle D. für „von den Medien überbewertet“.