Schiff versenkt Eisberg!

■ Herrn Jamers Traum vom Untergang des Landkreises Diepholz / Ein Mann kämpft gegen Behördenwillkür, indem er das Magazin „Die Spitze des Eisbergs“ herausgibt

Die einen kauen Schaum. Andere legen sich Magengeschwüre zu und sterben jung. Wieder andere kaufen sich eine Waffe und laufen Amok. Die meisten aber „jammern“ nur. Nicht so Herr Jamer: Als ihn die Behördenwillkür traf, reagierte er auf ebenso außergewöhnliche wie letztlich stringente Weise: Er schleuderte davidgleich dem aus seiner Perspektive als „Goliath“ zu betrachtenden Landkreis Diepholz eine Zeitschrift entgegen. Eine eigens zur Blamierung, Fertigmachung und Ermahnung des Landkreises Diepholz kreierte Zeitschrift namens DIE SPITZE DES EISBERGS – MAGAZIN GEGEN BEHÖRDENWILLKÜR.

Ein Magazin mit allem drum und dran, soviel ist sicher. Mit einem Preis (10 Mark); mit einem Titelblatt, in kämpferischem Rot gehalten, mittig plaziert in Bleu ein Eisberg; mit 12 Seiten einschließlich Impressum („Erscheint vorerst unregelmäßig“); mit Werbung (für – na? – die Werbeagentur Jamer GmbH); und mit einem „Schwerpunktthema“: In eigener Sache / Landkreis Diepholz, Tiefbauamt / die unbekannte DIN / die verschleppten Termine. Das einzige und Schwerpunkt-Thema läßt die Dimensionen des Falles erahnen.

Es geht, wie allzu oft in Fällen von Behördenwillkür, um eine Kläranlage. Nicht „eine“, sondern die einzige Pflanzenkläranlage im Landkreis Diepholz und also auch in der Nordwohlder Heide bei Bassum, wo die Leute gemeinhin ihr Abwasser in stinkige Mehrkammer-Ausfaulgruben schwappen lassen. Herr Jamer war es, der diese ökologisch wertvolle Pflanzenklär- oder sogar Pilotanlage errichtete. Doch der Prophet gilt nichts im eigenen Lande, insbesondere, wenn er seine Rechnung ganz ohne die Genehmigungsbehörde macht. Diese verschickte im September eine „wasserrechtliche Verfügung“ und verfügte Stillegung. Wegen Grenzwertüberschreitung. Das fand Herr Jamer nicht richtig und legte Widerspruch ein. Ein Wort gab das andere, am Ende stand Behördenwillkür auf der einen Seite und auf der anderen die, so Jamer, „vielleicht ungewöhnlichste Form von Widerspruch seit Einführung der Behördenwillkür“ – nämlich ein Magazin.

Jeder, der schon einmal mit Politessen aneinandergeriet oder dem das Finanzamt Sonderabschreibungen strich, kennt sie: die Behördenwillkür. „Gespräche sind abgelehnt worden, mit einer Ignoranz, die schon an Verachtung gegenüber dem Bürger grenzt! Nicht zu erwähnen die zahlreichen Briefe, die – trotz Aufforderung – einfach nicht beantwortet wurden.“ Soweit Herr Jamer in seinem Magazin, welches aus einem offenen Brief an den Kreis Diepholz, der „Vorgeschichte“, der Widerspruchsbegründung sowie zwei Exkursen („Der Landkreis und die DIN“, „Der Landkreis und die Termine“) besteht nebst der Kopie eines Gegengutachtens und einem weiteren Fall von Behördenwillkür aus der Zeitung. Und dann ist da noch der Traum.

In einem persönlich gehaltenen Abschnitt berichtet Herr Jamer von dem Traum, der ihn auf den so subtilen Titel seines Magazin brachte. Ihn träumte, daß sich die Titanic dem Eisberg näherte. Daß auch die Wasserbehörde mit Wasser zu tun habe. Daß es hier wie dort um viele Menschen gehe, in der Behörde um die vielen, die gegen Jamer tätig sind. Daß es unter den Klängen „dramatischer Musik“ zur Kollision kam. Daß Menschen und Möbel durch die Luft wirbelten. Daß die Titanic weiterfuhr und der Eisberg sank. Daß vom sinkenden Eisberg alle Menschen („die Vorgesetzten zuerst“) geborgen wurden. Und daß ihm da der Titel seines Magazins einfiel: „Die Spitze des Eisbergs“. Herausgegeben, „damit später niemand behaupten kann, nichts gewußt zu haben“.

In riesigen roten Lettern zitiert Herr Jamer Voltaire: „Es ist gefährlich recht zu haben, wenn der Staat unrecht hat.“ Herr Jamer geht das Risiko ein. Dann zitiert er Konrad Adenauer: „Nur der Intelligenz sind Grenzen gesetzt, der Dummheit nicht!“ Herr Jamer beweist, daß auch der Intelligenz keine Grenzen gesetzt sind. Er zeigt uns: Es geht! Jeder kann gegen die Behördenwillkür vorgehen, der einen PC besitzt und viele verschiedene Schrifttypen zur Auswahl hat. Ist die Idee da, kommen auch die Anzeigen. Die schaltet man zur Not selbst. „Ist der Ruf mal ruiniert, wird er wieder aufpoliert!“ heißt es in einer Anzeige der Werbeagentur – na? – Jamer, die für ihre tollen Imagekampagnen wirbt.

Was ist denn zuletzt „Die Spitze des Eisbergs“ anderes als eine Imagekampagne!? Ist der Ruf des Landkreises Diepholz erst mal ruiniert, wird das Image des Bürgers Jamer wieder aufpoliert. Oder, um im Bild zu bleiben: Wehe, wehe, Eisblock Diepholz! Warte, wenn der Dampfer Jamer kommt! Er wird dich versenken! BuS