Haut spüren

■ Tanz-Forschungen: Das Festival „Schanzentanz“ ging gestern zu Ende

Dieses Gesicht schien keinem Menschen zu gehören. Aus ihm leuchtete eine Figur: eine Frau, stumm, sinnlich, nahbar, und doch fremd. So fremd wie die Hände, die ihr übers Gesicht streichelten, die doch ihre eigenen waren. Oder waren es die von Hans? Denn auf den Hans spielte Susanne Brian an in ihrer Choreografie Undine geht, nach der gleichnamigen Erzählung von Ingeborg Bachmann.

In zehn Bildern erzählt die Tänzerin vom Innenleben dieser Undinen-Gestalt, der der Mann nicht begegnen kann. Still und mühsam zieht sie ihren schweren Körper durch den Raum, setzt sich der Angst vor dem voyeuristischen Blick aus, läßt sich von ihm streifen, berühren.

Aber sie greift auch mit schnellen, kraftvollen Sprüngen in alle vier Ecken des Raumes, bis sie schließlich ihre Stimme findet, die erschauern läßt: „Ihr Ungeheuer mit euren Redensarten, die ihr die Redensarten der Frauen sucht, damit euch nichts fehlt, damit die Welt rund ist!“ brüllt sie den finalen Kernsatz der Bachmannschen Erzählung, die im Selbstmord endet.

Susanne Brians Choreografie war eine der gelungensten auf dem einwöchigen Festival Schanzentanz, das gestern mit einen üppigen Büffet in der Triade in der Bernstorffstraße zu Ende ging. Eine Woche lang traf sich dort die experimentelle Szene, um sich gegenseitig in die Geheimnisse der Innenräume des Körpers einzuweihen, um sich zu bewegen und bewegen zu lassen.

Barbara Schmidt-Rohr und Sigrid Bohlens konstrastierten im Video Seehundfell einen weiblichen Körper, der sich rhythmisch – auf einem Ponton im Meer ruhend oder zwischen Felsspalten eingeklemmt – bewegt, mit brachialen Atem- und Wellengeräuschen. In der gefährlichen Brandung schieben sich Hautfalten ineinander, eine rot Gelockte verschmilzt mit dem herbstlichen Seeufer. Atem und die Berührung von Oberflächen wurden hier erkundet.

Doch auch andere Ansätze gab es zu sehen. Jo Apel und Sandra von Döhren (im Rollstuhl) zeigten eindrucksvolle Bilder wie das vom Mann, dessen Siegerpose in der Kamikaze-Fahrt auf den Schultern der Rollstuhlfahrerin gebrochen wird. Giles Busk erheiterte in Frack und Sonnenbrille mit einem Solo zwischen Ballett und Breakdance. In eine Schlinge gezwängt, mimt er zur Soul-Stimme vom Band, die behauptet: „You can't stop us on the road to freedom“, den Zufriedenen. Insgesamt zeigten die Forscher und Forscherinnen der Tanzinitiative Hamburg eine Menge Ansätze, die auf den staatlichen Bühnen (noch) nicht zu finden sind. Ihre Arbeit läßt auf wegweisende Neuerungen hoffen. Man darf auch in Zukunft gespannt sein.

Gabriele Wittmann