Sprungwürfe unter Verschluß

Keine Elitemannschaft aus Vorzeigehäftlingen: Beim Handballteam der Justizvollzugsanstalt Butzbach geht es Trainern und Spielern um mehr als nur das Werfen von Toren  ■ Von Anja Dargatz

Die blaue Berechtigungskarte ersetzt den Spielerausweis, die meterhohe Mauer die Hallenwand. Die Beamten auf den Wachtürmen haben einen besseren Überblick als jeder Schiedsrichter. Einen Spieler frühzeitig zum Duschen zu schicken ist genauso unmöglich wie das Zuspätkommen zum Training. An Zuschauern mangelt es nicht: jeder mit eigenem Fensterplatz auf einer gut gesicherten Tribüne. Einmal pro Woche findet im Hof der JVA Butzbach das Handballtraining statt, geleitet von Götz Eisenberg, dem Gefängnispsychologen, und Manfred Freisler, ehemaliger Rückraumschütze von Bundesligist Großwallstadt.

Die meisten Spieler hatten, bevor sie zur Knastmannschaft kamen, noch nie einen Handball in der Hand. Ein viel wichtigeres Kriterium ist das soziale Verhalten. Learning by doing heißt das Konzept: spielen, spielen, spielen. Rudi ist einer der wenigen, die bereits früher im Verein gespielt haben. Natürlich hätte er nichts gegen Technikübungen: „Aber das würde nicht ankommen. Da wäre in der nächsten Woche schon keiner mehr da.“ Die Fluktuation ist ohnehin relativ hoch. Zwar sind Kurzstrafen in Butzbach selten, doch Verlegungen oder Besuche lassen die Teilnehmerzahl ständig zwischen zehn und zwanzig schwanken. Aber es geht auch nicht darum, durch eisernes Training eine Elitemannschaft aus Vorzeigehäftlingen aufzubauen. „Wir wollen den Leuten neben dem Hofgang einfach noch einmal die Möglichkeit zugeben, aus ihrer Zelle herauszukommen“, erklärt Manfred Freisler.

Claus ist schon seit längerem bei der Mannschaft und gehört zu denen, die keine Chance, Sport zu treiben, verstreichen lassen: „Das macht den Kopf frei und hält körperlich fit“ – ein nicht unwesentlicher Aspekt, schließlich heißt es nicht umsonst: „seine Strafe absitzen“ – das bedeutet ungefähr 20 Stunden am Tag in der Zelle, wenn er nicht arbeitet. Und die Arbeitslosigkeit macht trotz Minimallohns auch vor Gefängnissen nicht halt. Doch mehr als das Interesse am Sport hält die Gruppe auch nicht zusammen. Nach dem Training verschwindet wieder jeder in seinen Trakt. Platz für neue Freundschaften bleibt da wenig.

Das regelmäßige Training hinterläßt bereits erste Spuren. Die Mannschaft des Allgemeinen Hochschulsports der Uni Gießen, die regelmäßig zu Freundschaftsspielen in Butzbach antritt, mußte dieses Jahr eine böse Schlappe einstecken. „Ein Sieg gegen eine Mannschaft von draußen zählt natürlich besonders“, sagt Götz Eisenberg. Der Kontakt zu Manfred Freisler kam an der FH Wiesbaden zustande, wo sich beide in einer Veranstaltung kennenlernten: Eisenberg als Dozent, Freisler als Student für Sozialarbeit. Der Funke sprang über: „Es wäre gelogen, wenn wir unser Projekt als völlig altruistisch ausgeben würden“, meint Götz Eisenberg. Ohne Sympathie wäre nichts zustande gekommen. Und der Spaß am Training muß die Tatsache aufwiegen, daß Manfred Freisler für seine Tätigkeit in Butzbach nicht bezahlt wird – nicht gerade eine typische Trainerkarriere für einen Sportler, der 123 Länderspiele absolviert hat.

Der rege Zuspruch seitens der Häftlinge hängt nicht zuletzt am Trainergespann. „Es schmeichelt den Spielern natürlich, von einem früheren Profi trainiert zu werden“, meint Eisenberg – obwohl der Name Freisler der neuen Knastgeneration kaum ein Begriff ist. Auch ist Handball alles andere als eine populäre Sportart. Auf der Beliebtheitsskala rangiert Fußball weitaus höher, ganz oben steht Kraftsport. Handball gilt als „deutscher“ Sport. Als das regelmäßige Training vor zehn Jahren begann, waren 90 Prozent der Insassen deutscher Nationalität, heute ist das Verhältnis umgekehrt. Entsprechend müssen schon Anreize geboten werden, damit die Leute am Ball bleiben.

Götz Eisenberg betont, daß Pädagogik und Sport strikt getrennt werden. Eine Mogelpackung mit Therapie, getarnt durch Leibesertüchtigung, gibt es nicht: „Die Häftlinge würden das sofort merken.“ Der Lerneffekt kommt aus dem Sport selbst. Das betrifft insbesondere den Umgang mit Aggressionen. Beim Kampf um den Ball entlädt sich schnell der Frust des Gefängnisalltags. Da kann es schon mal brenzlig werden. Doch die beiden Trainer setzen auf frühes Erkennen. Wer Mist baut, wird sofort zur Räson gebracht. Bis jetzt hat es immer funktioniert. „Das ist wichtig, daß die beiden da ein Auge drauf haben, sonst kann das schnell eskalieren“, meint Häftling Claus. Das sei nicht unbedingt die Regel. Er habe da schon ganz andere Konflikte bei Sportveranstaltungen im Knast erlebt. Auch die Aufwärmübungen, auf die Eisenberg und Freisler bestehen, sind nicht unbedingt selbstverständlich. „Dabei sind gerade Häftlinge durch die wenige Bewegung besonders verletzungsgefährdet“, meint Manfred Freisler.

Sport im Knast ist kein neues Thema. Rudi kennt aus Baden- Württemberg Meisterschaften, die zwischen den Gefängnissen ausgetragen werden. Er hat bereits in der Anstalt von Weiterstadt gesessen, die für ihre gute Sportausstattung bekannt ist. Mit Weiterstadt kann Butzbach nicht mithalten. Neben den Mannschaftssportarten gibt es die Möglichkeit, sich einer Laufgruppe anzuschließen, und Häftlinge, die mit Begleitung hinaus dürfen, können draußen joggen. In dem Mehrzweckraum, der auch für den Gottesdienst genutzt wird, stehen ein paar veraltete Kraftgeräte. „Was hier am dringendsten fehlt, ist eine Halle, damit man auch im Winter vernünftig Sport machen kann“, kritisiert Claus. Die Pläne dafür stehen, eine Mauer wurde bereits verrückt. Nur im Haushaltsplan ist die Halle noch nicht vorgesehen. Dafür wurde ein Provisorium aus einer ehemaligen Werkhalle erstellt – besser als nichts.

Um welche Sportarten man ihrer Meinung nach das Angebot in Butzbach erweitern könnte? Da herrscht Einigkeit unter den Häftlingen: „Stabhochsprung, Trampolinspringen, Klettern...“