Folter und Mord als Amtsgeschäfte?

Nach sechstägigen Anhörungen müssen die britischen Lordrichter nun entscheiden, ob Chiles Ex-Diktator Pinochet Immunität genießt. Auch Hitler könnte nicht belangt werden, meint Pinochets Verteidigung  ■ Von Bernd Pickert

Berlin (taz) – Die fünf britischen Lordrichter haben genug gehört. Chiles Ex-Diktator Augusto Pinochet (82) muß nun in dem Londoner Hospital, in dem er unter Polizeibewachung seine Tage verbringt, auf die Entscheidung der Lords warten, wie mit dem spanischen Auslieferungbegehren wegen diverser Verbrechen unter Pinochets Ägide zu verfahren sei.

Dabei standen die letzten der sechs Anhörungstage im Zeichen der Verteidigung Pinochets. Die bemühte sich, detailliert nachzuweisen, daß eine Verurteilung Pinochets nach britischem Recht nicht möglich wäre – eine Auslieferung daher auch nicht. Das britische Gesetz von 1978, das Staatschefs für Verbrechen, die innerhalb ihrer Amtsgeschäfte begangen wurden, Immunität zusichert, sei umfassend gültig.

Selbst Adolf Hitler, argumentierten Pinochets Anwälte Clare Montgomery und Clive Nichols, könne nach diesem Gesetz in Großbritannien nicht für seine Verbrechen verurteilt werden. Wenn eine Person, die komplett mit dem Staat identifiziert sei, also quasi als Synonoym für das staatliche Handeln zur Verantwortung gezogen werde, dann könne dies nur durch ein internationales Tribunal geschehen, nicht aber durch nationale Strafgerichtsbarkeiten anderer Staaten.

Darüber hinaus gehen die Anwälte davon aus, daß auch nicht, wie im internationalen Recht inzwischen üblich, Verbrechen gegen die Menschlichkeit eine Ausnahme von der Immunität begründen. Dazu, meinen sie, müßte das Gesetz erst ergänzt werden. Hier haben die Lordrichter einen Abwägungsspielraum.

Dagegen argumentieren die Anwälte, die vor den Lords für die Auslieferung Pinochets plädierten, Folter, „Verschwindenlassen“ und Mord seien durch die Rechtsordnung auch unter der chilenischen Diktatur nicht gedeckt gewesen, könnten also nicht als Bestandteil der Amtsgeschäfte gelten und fielen insofern keinesfalls unter die Immunitätsregelung.

Als Beispiel führte Staatsanwalt Alun Jones, vor den Lordrichtern auch Vertreter des spanischen Ermittlungsrichters Baltazar Garzón, der das Auslieferungsbegehren formuliert hatte, den Fall des ehemaligen panamaischen Präsidenten Manuel Noriega an. Noriega war Ende 1989 beim Einmarsch von US-Truppen in Panama gestürzt, verhaftet und in die USA gebracht worden, wo ihm der Prozeß wegen Drogenhandels gemacht wurde. Drogenhandel falle einerseits nicht unter die Amtsgeschäfte, zudem sei Noriega nicht durch Wahlen demokratisch legitimiert, insofern ohnehin nicht rechtmäßiger Staatschef. Beides, so Staatsanwalt Jones, treffe auch auf Pinochet zu.

Einen Termin für die Entscheidung der Lordrichter gibt es nicht, sie werden sich wohl noch ein paar Tage Zeit lassen. In Chile wird die Entscheidung mit Spannung erwartet – und mit dem unverhohlenen Säbelrasseln der Militärs. Sie zwangen Präsident Eduardo Frei am Mittwoch dazu, den Nationalen Sicherheitsrat einzuberufen. Dieses Gremium, dem die höchsten Repräsentanten der Streitkräfte und der Regierung angehören, hat seit seiner Gründung durch die Junta 1980 erst viermal getagt – ein Ausdruck der Nervosität der Militärs angesichts der Verhaftung ihrer Ikone Pinochet.

Heereschef Ricardo Izurieta sagte am Donnerstag: „Ich halte es für sehr schwerwiegend, daß die Ausführungen und die Position unseres Landes von anderen Ländern nicht zufriedenstellend aufgenommen und verstanden werden. Das macht uns betroffen und stellt einen Verlust unserer nationalen Souveränität dar.“ Viele Chilenen befürchten, eine Verurteilung Pinochets im Ausland könnte von den Militärs der eigenen Regierung angekreidet werden und in den Generälen Gelüste wecken, erneut die Macht anzustreben. Kommentar Seite 12