Endstation Wannsee

Wer als Nichtdeutscher in Berlin wohnt, verbringt seine freie Zeit meist in der Stadt. Das Umland wird gemieden  ■ Von Christine Berger

Mohammed verbringt das Wochenende meistens auf dem Spielplatz, Emine geht mit ihren Eltern in den Zoo oder ins Kindertheater. Beiden ist gemeinsam, daß sie noch nie einen Bauernhof gesehen haben, jedenfalls keinen deutschen. Wie ein Kuh aussieht, weiß der achtjährige Mohammed trotzdem – „aus dem Fernsehen“. In seinem Heimatland Syrien gibt es zwar auch Kühe, aber immer wenn sie in den Ferien dorthin fahren, verschwindet der Horizont auch dort hinter Häuserfassaden. Mohammed kommt aus der Hauptstadt Damaskus, und dort muß man wie in Berlin erst mal lange fahren, um das Leben auf dem Land kennenzulernen.

Daß Mohammeds Familie in Berlin nicht ab und zu Landluft schnuppert, ist nicht nur den weiten Wegen geschuldet. Mit der S-Bahn oder dem Auto ließe sich durchaus von ihrer Wohnung im Stadtteil Schöneberg aus in einer Stunde die Schönheit des Berliner Umlands erfahren, doch die Familie bleibt trotzdem zu Hause. „Zuviel Angst“, sagt die verschleierte Mutter. Angst vor der Fremdenfeindlichkeit, Angst vor Beschimpfungen oder womöglich tätlichen Angriffen gegen sie und ihre drei Kinder. Im Sommer fährt die Familie lieber in den Tiergarten, um mit Landsleuten den Grill anzuwerfen, im Winter macht man Besuche, die Kinder werden vor die Tür geschickt.

Auch für die 53jährige Türkin Filiz Dinç ist das Umland fremdes Terrain. Mit ihren Enkelkindern geht sie lieber in den Zoo. „Wir würden gern mehr kennenlernen“, sagt sie, aber auch ihr ist die Stimmung draußen vor der Stadt zu ausländerfeindlich. In Potsdam ist sie schon ein paarmal gewesen, weiter aber traut sie sich nicht. „Für mich hat der Mauerfall nicht mehr Freiheit gebracht“, sagt sie, im Gegenteil: Nach 22 Jahren als Montiererin in einem Betrieb verlor sie nach der Wende ihre Arbeit. Seitdem ist sie im türkischen Nachbarschaftsverein aktiv.

Die Ausländerfeindlichkeit auf dem Land ist für Dinç nicht verwunderlich, sondern einfach zu erklären. „Nicht das Volk hat schuld, sondern die Regierung“, ist ihre Meinung. Die Parolen der rechten Parteien im letzten Wahlkampf hätten das mal wieder deutlich gezeigt. „Jedesmal, wenn Wahlen sind, kommen ausländerfeindliche Sprüche.“ Daß dann irgendwann offen formulierter Haß entstehe, sei kein Wunder.

Zu warten, bis andere Signale von der Politik kommen, dauert manchen Immigranten in der Stadt zu lange. Im Nachbarschaftsheim Schöneberg werden derweil als relativ sicher geltende Gruppenfahrten für deutsche und türkische Senioren organisiert. Neulich stand Schloß Babelsberg auf dem Programm, der Bus war rappelvoll. Atiye Altül, die die Fahrten mit organisiert, bezeichnet sich selber als mutige Frau. „Wo es geht, fahre ich raus.“ Manche ihrer Freunde fänden sie leichtsinnig, aber sie weiß, worauf es ankommt: „Man darf keine Angst zeigen, Körpersprache ist wichtig.“ Also fährt die Sozialarbeiterin auch ganz selbstverständlich an die Ostsee, nach Usedom oder Rügen. Als Türkin bezeichnet sich die 51jährige schon lange nicht mehr, „ich fühle mich als Berlinerin“, sagt sie, immerhin habe sie inzwischen schon ihr halbes Leben in dieser Stadt verbracht.

Nach Ansicht des Geschäftsführers des Türkischen Bunds Berlin- Brandenburg, Kenan Kolat, ist auch das Zusammenleben in der Stadt schlechter geworden. „Früher kamen schriftliche Beschimpfungen anonym hier an, heute mit vollem Namen“, erzählt er. Daß ihm neulich jemand in der S-Bahn die türkische Zeitung aus der Hand gerissen habe, weil er gefälligst eine deutsche lesen solle, ist für ihn ebenfalls ein Zeichen. „Keiner im Abteil hat reagiert“, seufzt der 38jährige Verkehrstechnologe.

Kolat selber ist öfters in Brandenburg unterwegs und möchte dort sogar ein Haus kaufen. Schwierigkeiten hat er bislang noch keine bekommen, vielleicht liegt das an seinem fließenden Deutsch. „Ich sehe auch nicht typisch türkisch aus“, meint er, jedenfalls nicht so dunkelhaarig wie viele seiner Landsleute.

Die nehmen von einem Ausflug ins Umland lieber Abstand. „Viele fühlen sich in Berlin sicherer, das hängt auch mit Gewohnheiten zusammen.“ Großfamilien, die sehr traditionell lebten, würden weiterhin lieber im Tiergarten grillen als die große Sause aufs Land machen. „Es ist eher die türkische Ober- und Mittelschicht, die es nach Brandenburg zieht“, weiß Kolat. In der Regel sind das Familien mit zwei Kindern, in denen die Frauen keinen Schleier tragen.

Die Angst vor Angriffen von rechts sieht er eher als gesamtgesellschaftliches Phänomen. „Schließlich werden ja auch Deutsche auf Campingplätzen angegriffen.“ Aggressivität mache eben nicht vor Blonden und Blauäugigen halt. Handlungsbedarf von politischer Seite sieht Kolat in jedem Fall. „Nicht nur Politiker müssen persönliches Engagement leisten“, meint er. Er selber hat schon über eine Anzeigenkampagne nachgedacht, Motto: „Unsere Vornamen sind verschieden aber unsere Zukunft ist gleich.“ Gemeinsamkeiten zwischen Türken und Deutschen in den Vordergrund zu stellen ist für ihn das beste Mittel, um auch in den Medien eine positivere Berichterstattung zu erreichen.

Einer, der sich nicht beeindrucken läßt von rechter Gewalt, ist der Inder Rajvender Sing. Als ehemaliger Stadtschreiber in Rheinsberg weiß er, was einem blüht, wenn man sich als Nichtdeutscher in die Öffentlichkeit wagt. Während seiner Lesungen im Stadtschloß vor einem Jahr ließen Neonazis vor der Tür die Motoren aufheulen oder ballerten mit Schreckschußpistolen in die Luft. Abends traute er sich aus Sicherheitsgründen nur selten auf die Straße. Passiert ist dem 43jährigen deutschsprachigen Autor bislang nichts, seine Lesungen hält er auch weiterhin in brandenburgischen Kirchen und Kulturzentren ab.

In Worpswede bei Bremen, wo Sing gerade als Stipendiat lebt, fühlt er sich allerdings sicherer. „Dort gibt es kaum Arbeitslosigkeit, der Ort strahlt Ruhe aus und ist gesättigt.“ Von Ausländerfeindlichkeit keine Spur. Genau darin sieht er die Ursache für rechte Gewalt. „Es gibt einfach ein ganz großes Identitätsproblem in Brandenburg. Die wollen was werden, aber was?“ Auch er kritisiert die verantwortlichen Politiker, die vor dem Problem die Augen verschließen.

Mit Antifa-Parolen wie „Nazis raus!“ kann er allerdings auch nichts anfangen. „Wo sollen die Nazis denn hin?“ fragt er. „Nazis raus aus den Köpfen!“ findet er da als Slogan schon passender. Ganz pragmatisch macht er sich dieses Thema zu eigen: Lesungen in Pfadfinderlagern, Begegnungen mit Menschen, das ist sein Mittel um Verständnis füreinander zu wecken. Nicht ganz ungefährlich, aber Sing ist zuversichtlich: „Ich mache mein Ding und bin dabei eben vorsichtig.“

Gegen Fremdenfeindlichkeit