1.544 kHz - Die Stimme der Wüste

■ Seit über 20 Jahren sendet der sahrauische Radiosender RNRASD aus der westalgerischen Wüste. Früher brachte man nur Kriegsberichterstattung, heute ist auch Julio Iglesias sehr gefragt

Tindouf (taz) – Mohammed Benas größter Wunsch ist ein digitaler Schnittplatz. „Dann könnten wir hier endlich richtig professionell arbeiten“, sagt der Moderator von Radio Nacional de la Republica Arabe Saharaui Democratica (RNRASD). Fast schon mitleidig schaut er dabei auf die zusammengestoppelten Geräte um sich herum. Mit einem völlig veralteten Mischpult, vier vom spanischen Nationalradio ausrangierten Tonbandgeräten und einem klapprigen Tape gehen zehn Journalisten, vier Ansager und neun Techniker täglich sieben Stunden auf 1.544 kHz in den Äther. Gesendet wird in Hassani, dem eigenartigen arabischen Dialekt der Sahrauis, und eine Stunde in Spanisch.

Das Studio und die 100 KW starke Sendeanlage sind in einem Gebäude aus luftgetrockneten Ziegeln nahe der vier sahrauischen Flüchtlingscamps unweit der westalgerischen Stadt Tindouf untergebracht. Von hier aus hält „Die Stimme der freien Sahara“ bei den 160.000 Flüchtlingen die Hoffnung wach, daß sie eines Tages in ihre seit 1975 von Marokko besetzte Heimat zurückkönnen. Außerdem versorgt der Sender die Landleute mit Nachrichten über sahrauische Befreiungsbewegung Polisario, die für die Unabhängigkeit der ehemaligen spanischen Kolonie Westsahara eintritt, und die von ihr 1976 ins Leben gerufene Exilregierung der Demokratisch Arabischen Republik Sahara (DARS).

Über den Äther verlesene Grußbotschaften sind für die meisten Flüchtlinge der einzige Weg, ihren in der Westsahara zurückgelassenen Angehörigen familiäre Neuigkeiten zukommen zu lassen. Die Marokkaner versuchen dies mit Störsendern zu unterbinden. „Das gelingt nur in der Hauptstadt al-Ajun. Schon wenige Meter außerhalb ist unser Sender perfekt zu empfangen“, weiß Mohammed.

Er selbst wurde gleich zu Beginn des Krieges 1975 schwer verletzt und schied aus der Befreiungsarmee aus. Seither arbeitet er als Nachrichtenredakteur bei RNRASD. Flink bewegt er sich trotz Krücken zwischen der Gerätschaft. Bis 1991 berichtete Mohammed hauptsächlich über den Wüstenkrieg, dann erzielte die UNO einen Waffenstillstand. Die immer wieder ins Stocken geratenden Vorbereitungen für ein Referendum über die Zukunft der Westsahara sind seither Thema Nummer eins in Mohammeds Programm „Ereignisse und Worte“. Neben Tagesaktuellem gibt es längere Hintergrundberichte über Ereignisse aus aller Welt. Nur ein Thema ist tabu: die Krise in Algerien. „Darüber berichten wir nicht. Das gebietet der Respekt“, so Mohammed, „schließlich hat Algerien uns aufgenommen. Und wo sieht man es schon gerne, daß sich der Gast in die Angelegenheiten des Gastgebers einmischt?“

Auf die Frage, woher er ohne Tageszeitungen die nötigen Informationen erhält, deutet Mohammed auf den jüngsten seiner Kollegen: „Ahmed Larosi, Sahrauische Nachrichtenagentur“. Ahmed hört alles ab, was auf Kurzwelle in Arabisch oder Spanisch sendet. Die von ihm erstellten Dossiers gehen dann an die RNRASD-Redaktion.

Neben den Nachrichten bietet das sahrauische Radio Programme für Zielgruppen. Asiza ist für „Die Stimme der Frau“ zuständig. Sie berichtet über Probleme und Erfolge ihrer Geschlechtgenossinnen in den Camps, die das gesamte gesellschaftliche Leben organisieren, seit fast alle Männer in der Befreiungsarmee dienen, und schaut in andere Länder: „Frauenthemen gibt es überall, und oft sind sich die Probleme überraschend ähnlich.“

Zudem sollen Märchen für die Kleinen und Musik für die Großen die Langeweile in den Zeltstädten bezwingen. „Neben unserer traditionellen Musik ist vor allem Julio Iglesias sehr gefragt“, grinst der Techniker. Er selbst steht mehr auf das Programm für junge Hörer, das von Michael Jackson über spanischen Rock bis zu algerischem Rai und HipHop kaum etwas ausläßt.

Seit die UNO letzten Herbst versprochen hat, das Referendum so schnell wie möglich abzuhalten, baut RNRASD aus. „Wir wollen nicht unvorbereitet in die Unabhängigkeit gehen“, sagt Mohammed, der wie alle in den Camps sicher ist, daß die Abstimmung zugunsten der Polisario und gegen den endgültigen Anschluß an Marokko ausgeht. In einem der Camps hat bereits ein Regionalsender den Betrieb aufgenommen – erstmals auf UKW. Studios in den restlichen drei Lagern sollen folgen. Diese Sender sollen den Grundstock für RNRASD im künftigen Staat bilden. „Natürlich werden wir dann auch ein eigenes Fernsehen haben“, ist sich Mohammed sicher. Drei seiner Radiokollegen waren bereits ein Jahr in Spanien, um sich dort von den Gewerkschaftern beim öffentlich- rechtlichen Fernsehen ausbilden zu lassen. Reiner Wandler