Urbanes Fruchtgummi exportiert

Kultur und Bügermeister erneuern die Städtepartnerschaft mit Marseille  ■ Von Hajo Schiff

Die Nationalhymnen erklangen, gefolgt vom Freiheitslied der Korsen, und das Eis schmolz: Die Reden wurden zunehmend länger und freundlicher. Das war auch Sinn der Sache, diente doch der Marseille-Aufenthalt der Hamburg-Delegation – mit Bürgermeister Ortwin Runde, den Fraktionsführern, Kulturbeamten und Repräsentanten des politischen Lebens prominent besetzt – der feierlichen Erneuerung der Partnerschaft mit der Stadt Marseille an ihrem 40. Geburtstag.

Was 1958 als Akt der Aussöhnung mit einem Treueschwur pathetisch begann, hatte sich inzwischen etwas abgekühlt. Denn die Hansestadt und ihre Mittelmeerschwester haben nicht viel miteinander zu tun. Der Schüleraustausch stagniert in niedrigstem Bereich, die Wirtschaft orientiert sich eher nach Genua. Die 2600 Jahre alte Kaufmannsstadt mit ihrem spröden Charme hat keinen guten Ruf. Zu Unrecht gilt sie als Hochburg der Kriminalität, ihre Schönheiten verlieren in der Konkurrenz mit den kleinen Orten der Provence. Aber unter der alles überragenden goldenen Großstatue der Notre Dame de la Garde hat sich eine Vielfalt von Bewohnern mit sehr unterschiedlichem kulturellen Hintergrund eingefunden, und diese Vielgestaltigkeit der 111 Quartiere der ältesten Stadt Frankreichs sorgt, trotz Arbeitslosigkeit von über vierzig Prozent in einigen davon, für eine Quirligkeit, von der die Kulturszene profitiert, auch wenn dies überregional nicht so sehr in Erscheinung tritt. Eine Kunsthochschule, Atelierhäuser, viele selbstorganisierte Ausstellungsorte, über zwanzig Theater, eine städtische Oper und unter anderem ein neues Museum für moderne Kunst zeigen das Engagement der Stadt, die einen zweistelligen Prozentsatz ihres Etats für Kultur ausgibt.

Zum Partnerschaftsjubiläum wurde ein eindrucksvolles Kulturprogramm mit drei Ausstellungen, zwei Musikveranstaltungen und einer Poetenlesung inszeniert. In Citytosee präsentiert sich Hamburg mit nicht ganz alltäglichen Photos von Architektur und Kulturszene. Wahlhamburger und documenta-Teilnehmer Stephen Craig zeigt eine bemerkenswerte Einzelausstellung seiner Architekturmodelle und Stadtvisionen. In einem anderen Raum stellen acht Hamburger KünstlerInnen aus, fast alle einst Hamburg-Stipendiaten. In der sehr guten Auswahl fallen besonders Michael Dörners Fruchtgummistadt und Nan Petzets pseudowissenschaftliche Recycling-Installation positiv auf; die angestrengte Jugendlichkeit von Jonathan Neese eher negativ.

Wie sollen Hamburg und Marseille in ihr fünftes Jahrzehnt geführt werden? Als erstes werden die Internet-Seiten beider Städte verlinkt, im nächsten Jahr erinnert eine Rathausausstellung an die Hamburger Franzosenzeit. Arbeitsgruppen werden sich mit Hafenlogistik und urbaner Neukonzeption befassen, man wird versuchen, in Brüssel gemeinsame Interessen zu vertreten und den wirtschaftlichen Austausch zu intensivieren.

Denn auch Kultur bedarf einer Basis, und ein Austausch nur auf dieser Ebene wäre zu wenig, wie der Bürgermeister nicht umhin kam, zu bemerken. Und dann, zum Abschluß der beiden offiziellen Besuchstage, ging's in die Disco „Trolleybus“, wo in einem Tunnelsystem alter Weinkeller die Hamburger Videojockeys Bauhouse für ein „Rodeo“ von Bild und Ton sorgten. Und Ortwin Runde tanzte die ganze Nacht.