Good bye, all ihr nationalen Identitäten!

Lebt und schreibt es sich gut auf den britischen Inseln? Wie werden die verschiedenen Einflüsse verarbeitet? Die Kulturorganisatorin Naseem Khan und der Autor David Dabydeen sprachen im Haus der Kulturen der Welt über das Leben zwischen den Kulturen  ■ Von Martin Hager

Die Britin Naseem Khan hielt kürzlich im Haus der Kulturen der Welt einen Vortrag über das Prinzip der kulturellen Vielfalt in ihrem Land. Der Glaube an eine nationale Identität, die sich nur aus traditionellem britischem Erbe speist, ist Vergangenheit, sagt sie. Britische Identität, das sind viele kulturelle Einflüsse: karibische, indische, englische, chinesische. Dub poetry und indische Popmusik stehen gleichwertig neben klassischer Oper und dem Kleinstadtorchester – was die staatliche Förderung angeht jedenfalls.

Die Massen strömen ins Gebäude. Im Restaurant gegenüber dem Vortragssaal findet ein Skat- Turnier statt. Hier trennen sich die Wege, einige Besucher entscheiden sich für den Vortrag von Naseem Khan. Sie ist „planning officer“ im „Arts Council of England“, zuständig für die zentrale Vergabe von Fördergeldern im künstlerischen Bereich. Dort hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren einiges getan.

1976 hatte Khan in einem Bericht für den „Arts Council“ klargestellt, daß Kunst und Kultur ethnischer Minderheiten bei der Vergabe der Gelder ignoriert wurden. Das hat sich geändert. Die sogenannte „Minderheitenkunst“ wurde anerkannt, später offiziell umbenannt in „ethnische Kunst“, dann offensiv in „Black Arts“ bis hin zum heutigen Namen „kulturelle Vielfalt“. Der Wandel der Terminologie ist vielsagend. Nationale Identität steht nicht länger für Leiterbe (oder „Leitkultur“, wie es der ehemaliger Berliner Innensenator Schönbohm ausdrückte). Sie ist nicht puristisch, sondern setzt sich aus vielen kulturellen Einflüssen zusammen.

Um diese Entwicklung zu fördern, hat der Arts Council einen Aktionsplan entworfen. Ziel ist es, die Flexibilität regionaler Förderorganisationen gegenüber neuen Kunstströmungen zu erhöhen, damit sie nicht nur aufs örtliche Blasorchester setzen. Klingt gut. Aber klappt das auch? Die soziale Realität hinkt der künstlerischen aber noch nach. Doch es ist ein Ansatz, der von oben kommt, und das ist vielversprechend.

Einen Tag später las der indisch- guyanisch-britische Autor David Dabydeen am selben Ort. Der 43jährige Dabydeen kam mit zwölf Jahren aus dem ehemaligen Britisch-Guyana nach London. Aus dem Kind in einem vorindustriellen guyanischen Dorf wurde ein Mitglied der britischen Hochkultur: Professor für karibische Studien und schwer angesagter britischer Autor einer jüngeren Generation. So etwas geht auf der Insel.

Dabydeen liest Passagen aus seinem ersten Roman. Der Werdegang eines jungen Guyaners mit literarischen und akademischen Ambitionen. Der Abschied vom Dorf und dem stets mit Rum gefüllten Großvater; erste literarische Tätigkeit in London, als er den Grabspruch für die sterbende Schwester des Pakistani schreiben soll, bei dem er zur Untermiete wohnt; die Umsiedlung nach Oxford, wo keiner sehen soll, daß seine Habe in Pappkartons verstaut ist. Dabydeen malt die britische Kulturlandschaft in ähnlich euphorischen Zügen wie Khan. Es lebt und schreibt sich gut im Vereinigten Königreich. Die Engländer haben genug von England als Thema der Literatur. Das gibt es seit Jahrhunderten, in allen Varianten. Sie wollen etwas Neues lesen. Ob das wirklich so ist, sei dahingestellt. Aber es ist eine Vorstellung, deren Übertragung auf hiesige Verhältniss hoffen läßt. Warum sich stets mit der einen, althergebrachten Identität abquälen, statt sich auf andere einzulassen, deutsch-türkische z.B. wie die von Feridun Zaimoglu?

Doch leider, England ist nicht Europa. Nach Deutschland kommt Dabydeen nicht so gern. An der Zollkontrolle wird er immer doppelt so scharf geprüft wie andere und doppelt so abschätzig behandelt. Seine Haut ist nämlich dunkel.

David Dabydeen: „Die Zukünftigen“. Rotpunktverlag 1994, 240 S., 34 DM

Der „Action Plan“ des „Arts Council of England“ zur Umsetzung kultureller Vielfalt ist bei der Ausländerbeauftragten des Berliner Senats, Barbara John, erhältlich