Kehraus in der EU gefährdet Kleinprojekte

Weil die EU-Kommission nach Korruptionsvorwürfen ihre Geldvergabe neu organisiert, stehen Menschenrechtsprojekte unabhängiger Gruppen in aller Welt, die von EU-Finanzierung abhängen, vor der Pleite  ■ Aus Brüssel Alois Berger

Wegen eines Formfehlers stehen derzeit zahlreiche Menschenrechtsgruppen in der ganzen Welt vor dem Aus. Mindestens 200 Projekte können nicht mehr fortgeführt werden. Schuld daran ist die Schlamperei in der Europäischen Kommission. Seit Jahren fördert die Europäische Union weltweit rund 1.200 Programme zur Demokratisierung und Durchsetzung der Menschenrechte. Das Europäische Parlament hat dafür 200 Millionen Mark jährlich zur Verfügung gestellt. Das Geld, so der Auftrag, sollte in erster Linie an kleine, regierungsunabhängige Organisationen gehen.

Die EU-Kommission, die für die Umsetzung solcher Programme verantwortlich ist, hat bisher die Europäische Menschenrechtsstiftung, eine regierungsunabhängige Organisation, mit der Auswahl und der Betreuung der Projekte beauftragt. Nach allgemeiner Einschätzung lief das sehr gut. Die Mitarbeiter der Stiftung haben ein dichtes Netz von Kontakten über die ganze Welt gespannt und reisten oft selbst in die Länder, um die Verwendung der Mittel zu überprüfen und neue Projekte auszuwählen. Auch Kommissionsbeamte bestätigen, daß die Stiftung zuverlässig gearbeitet habe, und selbst der Europäische Rechnungshof hat die Stiftung lobend erwähnt.

Doch seit die EU-Kommission wegen einiger Korruptionsfälle und verschiedener Unregelmäßigkeiten mit externem Personal unter Beschuß kam, ist es mit der gedeihlichen Zusammenarbeit vorbei. Die Schiebereien passierten zwar in ganz anderen Bereichen, etwa bei der Tourismusförderung und bei den Wiederaufbauhilfen für Bosnien und Ruanda, aber die EU-Kommission ist in Aufruhr und versucht panisch, weiteren Vorwürfen vorzubeugen.

Denn die Kritik konzentriert sich vor allem auf die Praxis, für alle möglichen Aufgaben externe Agenturen, Berater und Leiharbeiter zu beschäftigen. Das ist zwar auch in nationalen Ministerien üblich und geht manchmal gar nicht anders, weil den Verwaltungen oft das Personal oder auch nur das nötige Fachwissen fehlt. Doch die EU-Kommission hat offensichtlich weit überzogen, vor allem hat sie zur Finanzierung der personellen Unterstützung Gelder verwendet, die für etwas ganz anderes bestimmt waren.

Auch die Kosten für die Europäische Menschenrechtsstiftung wurden juristisch nicht ganz einwandfrei abgerechnet. Das ließe sich zwar korrigieren, weil das Europäische Parlament bereit ist, die nötige Haushaltslinie nachzuliefern. Aber das braucht Zeit, und der zuständige EU-Kommissar Hans van den Broek fürchtet eine möglicherweise angreifbare Übergangsregelung mehr als das Sterben von 200 Menschenrechtsprojekten. Die EU-Kommission will den Vertrag mit der Europäischen Menschenrechtsstiftung jedenfalls nicht erneuern.

Statt dessen brütet nun in Brüssel ein Kommissionsbeamter über 1.200 Projekten, die bisher von 41 Leuten betreut wurden. Nach Feierabend bekommt er Unterstützung von vier weiteren EU-Beamten. Das Ergebnis widerspricht allem, was das Europäische Parlament eigentlich beabsichtigte. Statt kleiner Projekte werden vor allem finanzielle Großabnehmer bevorzugt, um den Verwaltungsaufwand in Grenzen zu halten: 15 Millionen für den Hausbau in Bosnien, ein Batzen an den Europarat in Straßburg, und die OSZE bekommt auch noch ein paar Millionen angedient.

Wilfried Telkämper, Grünen- Abgeordneter im Europaparlament, fürchtet, daß dahinter auch eine politische Absicht steht. Einigen Verantwortlichen in der EU- Kommission seien viele der Kleinprojekte zu linkslastig gewesen. Die rechtlichen Bedenken gegen die Beschäftigung unabhängiger Agenturen sei da gerade recht gekommen. Es paßt auch gut ins Bild, daß in den letzten Wochen vor allem die Adenauer-Stiftung der CDU und die Hanns-Seidel-Stiftung der CSU mehrmals beim zuständigen deutschen Generaldirektor Günter Burghardt in Brüssel vorstellig geworden sind. Die Ableger der deutschen Parteien unterhalten in vielen Ländern dieser Erde ihre Büros und lassen sich ihre demokratiefördernden Maßnahmen gerne von der EU bezuschussen. Die Friedrich-Ebert-Stiftung der SPD etwa gilt als gute Adresse für die Abwicklung von Projekten in Osteuropa wie auch in der Dritten Welt. Doch vor allem die Hanns-Seidel- Stiftung hatte in den vergangenen Jahren wenig Glück mit ihren Anträgen, EU-Geld beispielsweise für die Unterstützung ukrainischer Oppositionsparteien „beim Aufbau einer Schattenregierung“ zu bekommen. „Ziemlich massiv“ soll der Vertreter der Hanns-Seidel-Stiftung in Brüssel darauf hingewiesen haben, daß Deutschland größter Nettozahler der EU und eine stärkere Berücksichtigung der deutschen Parteistiftungen deshalb angemessen sei.

Ob sich die EU-Kommission davon beeindrucken läßt, wird sich in den nächsten Monaten zeigen. Die Europäische Menschenrechtsstiftung, von EU-Rechnungsprüfern als „Damm gegen politische Einflußnahme“ gepriesen, hat künftig mit der Auswahl und Betreuung der Projekte sicher nichts mehr zu tun. Die EU-Kommission überlegt vielmehr, eine eigene Menschenrechtsagentur auf die Beine zu stellen, die dieselbe Arbeit machen und eine vergleichbare Kompetenz entwickeln soll. Aber das kann Jahre dauern. Auf dem EU-Gipfel in Wien im Dezember soll die Idee vorgestellt werden. Bis es soweit ist, werden etliche Menschenrechtsgruppen bereits vor dem Konkurs stehen.