Hunderttagefragen

Früher waren es die Starken, die pafften und dampften, was das Zeug hielt. Peggy Guggenheim ging nie ohne Zigarre aus dem Haus. Romy Scheider und Marlene Dietrich bliesen lustige Kringel in die Luft. Heute gelten Frauen als willensschwache Wesen, wenn sie nach dem süßen Nikotin gieren. Wer wüßte das besser als Andrea Fischer? Als ihr Namensvetter bei der Regierungsbildung auf sie zueilte und sagte: „Herzlichen Glückwunsch“, zündete sie sich noch eine an. Es war ihre letzte.

Die Gesundheitsministerin muß Rauchen berufsmäßig als gesundheitsschädigend auffassen. „Das verlangt das Amt“, sagt ihre Sprecherin.

Bundesgesundheitsminister kamen, Bundesgesundheitsminister gingen. Nie aber hat einer von ihnen geraucht. Auch nicht heimlich, geschützt vom Aktenberg auf dem Schreibtisch. Auf so einen Schnappschuß würden die Fotografen doch nur lauern, gibt die Ministeriumssprecherin zu bedenken. Noch nicht einmal einen schnellen Zug zwischendurch soll sich Andrea Fischer in ihrem „riesigen, schicken Büro mit üppigem Blumenschmuck“ (Bild) gestatten.

Warum darf Andrea Fischer nicht mehr rauchen?

Eine rauchende Ministerin würde Schaden anrichten. Auch materiell. All die schönen Broschüren, die das Ministerium für Raucher herausgibt! Ihre Botschaft würde verpuffen. Die Gesundheitsministerin mit Lulle? In nullkommanichts wäre es vorbei mit „Aufklärung und der ganzen Glaubwürdigkeit“, sagt die Pressefrau. Arme Andrea Fischer. Vor einer rauchenden Bundesgesundheitsministerin fiele selbst Mainhardt Graf Nayhauß nicht mehr auf die Knie. Dessen sirenenhafter Liebesgesang, per Bild millionenfach verstärkt, würde uns irgendwie fehlen: „Die ,Fischerin‘ ist hübsch (...) und von jener zarten Fülligkeit, die viele Männer lieben.“

Wie lange kann eine Frau ohne Zigarette bleiben? Zehn Minuten? Vier Wochen? Eine Legislaturperiode? Wer martert sich freiwillig? Und warum? Ich kann es, ich will es, ich kann es, reden sich die Asketen ein. Mit jedem Tag, den sie den Qualen des Entzugs abringt, siegt Andrea Fischer über ihr Laster. Irgendwann hören Schweißausbrüche, Schokoattacken und andere Entzugserscheinungen auf. Und dann fängt der Spaß als Ministerin erst richtig an. Annette Rogalla