Fuck-Zeugs und Fan-Zeugs

Wer hat Angst vor Hitler-Jesus? Georg Timber-Trattnigs „Pop!“ wurde am Wiener Schauspielhaus uraufgeführt. Mit Glatzen-Kojak als Super-DJ  ■ Von Sabine Leucht

„Fuck“ schreien ist geil. Ficken ist geiler. „Fuck-Zeugs“ zu sein... – Na ja, da geht die Geilheit schon allmählich baden. Geht unter im Sumpf aus Inzest-erlitten-Haben, Sich-gebrauchen-Lassen und Inzest-nicht-vermeiden-Können. Aber nicht einfach so, sondern laut und heftig blubbernd, was dann wiederum doch irgendwie geil ist, jedenfalls Fun macht beim Absaufen.

Biene Eichborn ist „Fuck- Zeugs“ und die Schwester von Julius, genannt „Kojak“ oder „der Instructor“. Diese beiden hat Georg Timber-Trattnig in ein Stück hineingeboren, das schlicht „Pop!“ heißt, aber im Untertitel bereits mehr als die Gesprächigkeit des Resttextes vorwegnimmt. Etwas atemlos heißt es da: „Groteske für und wider Teen-Skins. ,Ob ich jetzt Delphin bin oder Nutte, alles wie gehabt.‘“ Es ist Biene, die zwischen Delphin und Nutte meistens irgend was Drittes ist. Und es ist Glatzen-Kojak, der sie zum Mit-Teen-Skin macht, indem er ihr fürsorglich den neuen Heimat-Erlöser und Super-DJ „Hitler-Jesus“ in den Bauch ejakuliert. Das aber passiert erst am Schluß, der in der Wiener Uraufführung schon nach eineinhalb Stunden winkt.

Davor: viel Text, verteilt auf zwei Stimmen. Wir schreiben wenige Minuten vor der Jahrtausendwende, die Apokalypse verspricht in Kürze die Welt von allem Nichtdeutschen, Nichtweißen und Nichtrechten zu entsorgen. So um das Jahr 2017 herum sollen intergalaktische Heerscharen reinkarnierter Altnazis die neudeutsche „Arian World“ verstärken. Und weil die Besatzung der „SS Falkenhorst“ dann gefälligst keinem Führer in Windeln gegenüberstehen will, heißt es Beeilung für die Eichborns.

Ist das nun grotesk oder einfach Humbug? Oder handelt es sich, wie der Kaiser-Verlag meint, schlicht um den „Versuch einer Annäherung an eine kaum zugängliche jugendliche Randgruppe und deren Sprache“? Annäherung? Ich weiß nicht. Sprache? Ja, Sprache schon. Der gebürtige Kärntner (Jahrgang 66) hat der Szene aufs Maul geschaut.

Ist er doch selbst Teil zumindest des „besseren“ Teils von ihr. Angesichts seiner Vita kommt einem die eigene noch verschnarchter vor als gewöhnlich: Musiker, Graphiker, Aktionskünstler, DJ, Herausgeber der Pop-Gazette Kult und Alles-mögliche-Schreiber sind nur einige seiner Lieblingstätigkeiten. Unlängst hat der Multiaktionist, der so aktiv gar nicht ausschaut, sogar einen Nr.-1-Hit in den österreichischen Charts gelandet („Ready for Radetzky“, Vienna Lusthouse). Seine Karriere als Theaterautor steckt im Vergleich dazu noch in den Startlöchern. Vielleicht öffnet ihm ja die anstehende Uraufführung seines „Herr der Ringe“-Musicals in Berlin die Tür zur Theater-Hitparade? Dies jedenfalls war der falsche Eingang, und das lag am wenigsten an der Inszenierung.

Im Schauspielhaus öffnet sich inmitten des Publikums eine mit Metallplatten ausgekleidete Senke, angetan mit allerlei Fan- Zeugs aus dem Pop- und Glatzenlager. Hausherr Hans Gratzer (Bühne und Regie) hat die nackten, poppigen Wortkaskaden mit kleinen Aktionen unterfüttert: Julius (Wolfgang Michalek) rasiert sich bei seinen verführerischen Reden, was ihnen etwas Dahergesagtes gibt. Da spricht kein Rebell, sondern ein Funktionieren-Wollender, kein Gläubiger, sondern ein Funktionär. Und genau so hört Biene ihm zu: In Schülerhaltung, kindlich staunend, hängt sie an seinen Lippen; der Politiker und die Fernsehgemeinde, der Popstar und sein Fan.

Kojak hat ein Macht-Ding laufen, Biene ein Fun-Ding. Das alte Männlein-Weiblein-Lied, nicht eben besser geworden, nur lauter – und schneller: Biene, mit Trips und Tequila vor dem fucking „Eichborn-Schlappi“ (senior) auf der Flucht, hängt am Pop-Tropf wie eine Verblutende und saugt Leben in Beats per minute aus dem Sammeln und Ausspucken von Starnamen und -mythen. Die Biene im Schauspielhaus saugt dazu noch pausenlos an Zigaretten. Beide kriegen nie genug – nicht in die Lunge, nicht ins Herz. Doch wenn die Biene des Textes den Blues nur hat, um in ihm zu baden, macht die Bühnen-Biene der Claudia Sabitzer Punk aus ihm. Dunkel bezopft, die blaue Jogginghose irgendwo unter den Hüften verschlabbernd, ist sie eine Gretchenschlampe unter Dauerstrom.

Hibbelig und gehetzt, zeigt sie im Hingehen schon das Zurückweichen: Mit einem hinkenden Wippen – etwas an ihr zuckt immer – kickt sie sich selbst aus der Rede, die nie Rede ist, sondern Quasseltrip und Selbstbehauptungsmarathon. Wechselt vom vollen Röhren zum kleinmädchenhaften Aufsageton und von dort zur TV-Professionellen: „Werde ich dann auch Le Pen lecken?“ fragt sie den Bruder freundlich, das Mikro in der Hand.

Sie allein ist den Abend schon wert. Sie beschleunigt den Insider- Slang zum Sound-Gewummere und glättet damit allzu Wortwitziges („Kellogs Family“, „Kylie Moulinex“) und vor allem die Selbsterklärungsmanie (nicht nur) ihrer Figur. Biene: „Warum erzählen wir uns eigentlich Witze?“ Julius: „Weiß nicht.“ Biene: „Weil wir Angst haben, beide?!“

Von der Angst zur (rechten) Gewalt? Ein wenig überstrapaziert ist das schon. Als Trash dagegen gewinnt auch der Text, wird irgendwas zwischen musikgeschichtlichem Jahrhunderteintopf und Vermächtnis jener Lost Generation, die – ohne lebende Vorbilder – dort nach ihnen sucht, wo sie noch Monster oder Heilige waren. Der „Auftrag“, von dem Kojak spricht, ist die Veredlung der eigenen Nichtigkeit. Doch die Nachbeter von gestern sind nicht die Macher von morgen. Die letzte Szene hält zwei ertrinkende Kinder fest: Biene liegt still, endlich ohne Strom. Julius steht alleine vor dem, was das neue Jahrtausend gebracht hat: nichts Neues, nur das alte „Nichts“. Diesmal aber nackt, ohne Fun, ohne Heil, gar nicht geil.

Weitere Aufführungen: 18. bis 21.12., danach jeweils mittwochs bis Silvester