Helm ab zum Gebet!

Aus der Welt des Handwerks: Cora Stephan steht mit dem Krieg auf du und du. Ihr Essay zum Thema ist aber eher ein Fall für die nationale Drogenkommission  ■ Von Bernd Ulrich

Wenn es um Krieg und Frieden geht, werden Sie von mir nur eine Antwort im Indikativ bekommen. Dazu sind die Dinge zu ernst“, sprach kürzlich unser neuer Außenminister Joseph Fischer. Recht hat er. Seit jeher begleiten den kalten wie den heißen Krieg Illusionen und Spekulationen, die ihre Inhalte wie es gerade paßt aus der Geschichte beziehen, einer kontinuierlich von Gewalt geprägten Geschichte zumal. Selbst „mit guten Absichten kann man Geschichte und Erinnerung zur Dienstmagd herabwürdigen“. Das ist nun keine Einsicht Fischers. Sie stammt von der Publizistin und gelernten Politikwissenschaftlerin Cora Stephan. Hätte sie sich doch daran gehalten. Statt dessen zimmerte sie aus der Idee für einen eher schmalen Essay ein Buch: „Das Handwerk des Krieges“.

Der Titel erinnert an die „Kultur des Krieges“. So hieß 1995 in der deutschen Übersetzung das Werk des auch hierzulande gern rezipierten englischen Militärhistorikers John F. Keegan. Von der „Kultur“ zum „Handwerk“ – das suggeriert eine so intime wie zugleich kühl-distanzierte Nähe zum Gegenstand, mit dem Krieg auf du und du. Aber auch inhaltlich gibt es Parallelen. Der einst an der königlich-britischen Offiziersakademie Sandhurst lehrende Keegan streifte auf seinem Zug durch die kriegerische Weltgemeinde noch von den Mamelucken bis zu den Mongolen und oszillierte munter zwischen Flitzebogen und Maschinengewehr, immer in dem Bemühen, die Prinzipien der Mäßigung, der Begrenzung kriegerischen Geschehens am historischen Beispiel zu belegen und zu fordern. Dagegen ist Cora Stephans Studie eine Art Keegan light. Welche Faktoren bestimmen, ob Kriege mäßig sind oder entgrenzt, ja total? Von dieser Ausgangsfrage wird Stephans Betrachtung der unterschiedlichen Kriegskulturen motiviert, „sozusagen“ – es ist schon ganz egal – „vom Miozän bis zum Ersten Weltkrieg“. Die Geschichte des Krieges schlechthin, so die Ausgangsthese und der Befund zugleich, dreht sich immer wieder um die „Entfesselung von Gewalt – und ihrer Mäßigung“.

Die Bestie und das Beste im Mann

Wobei die biologisch-anthropologisch herleitbaren Gefühle, die den Krieg ermöglichen und die Stephan zunächst diskutiert, eigentümlich unverbunden mit dem folgenden Gewaltritt durch die Jahrhunderte bleiben. Von den griechischen Hopliten über die hohe Minne der Ritterschaft und die mediale Vermarktung des Dreißigjährigen Krieges kommen wir ruck, zuck zu den Kabinettskriegen, bis am Horizont das Niemandsland des Ersten Weltkriegs auftaucht. „Männer sehen sich“ – und das ist nicht aus dem Zusammenhang gerissen – „weder bei den Hopliten noch als Infanteristen im Ersten Weltkrieg als Täter oder gar als Mörder. Sondern als Opfer, das ihnen die Liebe zur Gemeinschaft abverlangt. Männer sehen sich im Krieg nicht als Männer, die töten, sondern als Männer, die sterben – für andere.“ Männer, Helm ab zum Gebet! Immer fest im Blick: der Krieg und seine „Doppeldeutigkeit“. Ins Männlich-Persönliche gewendet: Er, der Krieg, „weckt die Bestie – und das Beste im Mann“. Steht da, wortwörtlich, auch wenn man da wohl eher an Gillette-Werbung denkt.

Doch wie sagt der Generalstabsarzt in der Karl-Kraus-Tragödie „Die letzten Tage der Menschheit“ immer so hübsch, bevor er die Verwundeten tranchiert: „Momenterl!“ Man kann das natürlich auch ganz anders sehen. Und Cora Stephan zugute halten, daß sie in einer Zeit, da wir zum ersten Mal seit 1945 in Europa wieder mit dem Krieg konfrontiert werden, über den Krieg reden müssen. Und sei es, um ein „Umkippen von einem begriffslosen Pazifismus in eine moralgewisse Interventionsideologie“ zu vermeiden.

Aber mal abgesehen davon, daß ich mich frage, wo Cora Stephan eigentlich in unserer Republik noch einen meinetwegen auch „begriffslosen“ Pazifismus walten sieht, auch in dieser Formulierung scheint wieder ihre Hauptthese auf. Nun ist sie indessen ganz bezogen auf die angeblich friedensverschmockte deutsche Gegenwart. Das wiedervereinigte Mutter- und Vaterland könne sich nicht mehr „unter die Käseglocke eines von anderen gesicherten Friedens flüchten“. Klar, unter „Käseglocken“, wo es bekanntlich zumeist stinkt, läßt sich nicht gut leben, ist es höchstens noch attraktiv für jene, die sich im heimeligen Mief der Schuld an zwei Weltkriegen wohl fühlen. Geschenkt.

Die kühle Kategorie des Interesses

Für Cora Stephan ist diese flache Einsicht hingegen Teil der aus ihrer Geschichtsinterpretation resultierenden Erkenntnis, Kulturen der Mäßigung in der – darunter macht sie's nicht – „Menschheitsgeschichte“ hätten „stets versucht, den Dämon des Krieges zugleich zu entfesseln und einzuhegen“. Entfesselt wäre er also, weil sich Deutschland seiner außenpolitischen Verantwortung stellen und „bei einer womöglich gewaltsamen Sicherung der machtpolitischen Balance in Europa“ mitwirken muß. Und wie soll er „eingehegt“ werden? Tja, ganz einfach: Man zwingt die Moral raus und nationale Interessen rein. Denn moralinsaure Gewißheiten im allgemeinen und/oder die namentlich den Demokratien eigene Schwierigkeit im besonderen, ihre zivil eingestellten Bürger überhaupt erst in kriegerische Bewegung zu versetzen, hätten gemeinhin zu einem propagandistisch gesteuerten „moralischem Overkill“, mithin zu besonders grausamen Kriegen geführt. Eine Perspektive, nebenbei bemerkt, die ein ganz neues Licht auf den Krieg der Wehrmacht gegen die Rote Armee wirft.

Wie auch immer, all das sei verderblich und hebe im heißen Krieg alle Schranken der Mäßigung auf. Man höre und staune: Allein die „kühle Kategorie des Interesses“, die kalte Leidenschaftlichkeit der „Frage nach dem nationalen Interesse“ kann Garant gleichermaßen für die Begrenzung des Kriegsgrundes und die Einhegung der Kriegsgrausamkeiten sein. Gefahr erkannt, Gefahr gebannt: Gegen das Amphetamin Moral gibt's eine Dosis nationales Interesse als Tranquilizer. Wenn das man nicht wieder ein Fall für die nationale Drogenkommission wird.

Cora Stephan: „Das Handwerk des Krieges“. Rowohlt Berlin, Berlin 1998, 317 Seiten, 38 DM