Showdown in Albanien

Morgen soll eine Volksabstimmung über eine neue Verfassung entscheiden. Die Opposition ist dagegen  ■ Von Barbara Oertel

Berlin (taz) – Fehmi Abdiu, Vorsitzender des albanischen Verfassungsgerichts, hatte Glück im Unglück. Die Bombe, die in der vergangenen Woche vor seiner Wohnung in Tirana explodierte, verwüstete lediglich seine Wohnung. Abdiu hatte sich in der letzten Zeit vehement für das Referendum über die neue Verfassung eingesetzt, zu dem die Albaner morgen aufgerufen sind.

Besonders einem paßt der Urnengang überhaupt nicht ins Konzept: Oppositionsführer Sali Berisha. Seit seiner Entthronung im vergangenen Jahr verfolgt Albaniens Ex-Präsident nur ein Ziel: Kampf gegen die sozialistische Regierung. Folgerichtig läßt Berisha keine Möglichkeit aus, das Referendum zu unterlaufen. Monatelang boykottierten Vertreter von Berishas Demokratischer Partei (PD) die Arbeiten der Verfassungskommission. Der Verfassungsentwurf sei „antialbanisch“, „antidemokratisch“ und „antinationalistisch“, verkündete Berisha unlängst und forderte seine Anhänger auf, am Abstimmungstag den Wahllokalen fernzubleiben.

Nach Parlamentsboykott, Demonstrationen und regelmäßigen Aufrufen zum Sturz der sozialistischen Regierung ist die Debatte um die neue Verfassung mittlerweile nur ein weiterer Schauplatz, auf dem der PD-Chef seinen Kampf gegen die Machthaber austrägt. Dessen vorläufiger Höhepunkt brachte das Land Mitte September an den Rand des Abgrunds. Nach dem Mord an Azem Hajdari, einem DP-Mitglied und engem Vertrauten Berishas, besetzten aufgebrachte PD-Anhänger das Parlament sowie öffentliche Sendestationen und lieferten sich Straßenschlachten mit der Polizei. Kurz darauf trat Premierminister Fatos Nano zurück.

Sein Nachfolger Pandeli Majko wiederholte Altbekanntes. „Unsere Prioritäten sind bekannt: Die Rückkehr zu Normalität, Ruhe, eine Verringerung der politischen Spannungen und Verhandlungen mit der Opposition“, verkündete er. Letztere sind bis heute nicht zustande gekommen. Im Gegenteil, Berisha hetzt in altem Stil: „Ich mache keinen Unterschied zwischen Nano und seiner Marionette Majko.“ Überdies habe Majko als Student häufig unter Anfällen gelitten, die auf eine psychische Erkrankung hindeuteten.

Die Demagogie des Ex-Präsidenten verfängt vor allem im Norden bei weiten Teilen der Bevölkerung. Denn von Stabilität und einer Verbesserung der wirtschaftlichen Lage ist Albanien anderthalb Jahre nach dem Machtantritt der Sozialisten weit entfernt.

Von 700.000 Waffen, die während der Unruhen des vergangenen Jahres aus Armee- und Polizeidepots entwendet wurden, wurden erst 100.000 abgegeben. Allein in den vergangenen zwei Monaten kamen bei Unruhen, vor allem im Norden des Landes, 110 Menschen ums Leben. Mitarbeiter internationaler Organisationen und Vertreter der Regierung trauen sich nach 17 Uhr nicht mehr auf die Straße. Als die Polizei in der nordalbanischen Stadt Shkoder vor zwei Wochen drei PD-Mitglieder verhaftete, zerlegten Bewaffnete kurzerhand das Büro der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).

Komplettiert wird das Chaos im Norden durch die rund 25.000 Kosovo-Albaner, die seit dem Ausbruch des Konflikts aus der benachbarten Provinz nach Albanien geflohen sind. Auch die Befreiungsarmee des Kosovo (UCK) soll hier mehrere Basen haben. Nicht zuletzt dieser angespannten Situation wegen scheint es der Regierung kaum machbar, die Kontrolle über den Norden wiederzulangen. Es verwundert kaum, daß Majko sich für ein Eingreifen der Nato im Kosovo ausspricht. Doch ein Ende der Kämpfe und die Rückkehr der Flüchtlinge ist nur ein Aspekt. Einen anderen benannte Gavrosh Levonja, Kolumnist der Zeitung Koha Jone: „Wenn die Schläge der Nato erfolgreich sind, wird das die albanische Regierung stärken. Das wird im Land als Erfolg gewertet werden.“

Eher etwas hilflos appellierte die Europäische Union kürzlich noch einmal an die PD: „Ein Boykott ist kein konstruktives Instrument einer Demokratie“, hieß es in einem EU-Statement. Die Antwort Berishas kam postwendend. Am Dienstag forderte die PD eine Verschiebung des Referendums. Begründung: Es sei zu Unregelmäßigkeiten bei der Erstellung der Wählerlisten gekommen. „Das Referendum wird in Wirklichkeit eine Wahl sein. Die Albaner werden für Majko oder Berisha stimmen“, sagt Andi Bejtja, Mitarbeiter der Tageszeitung Gazate Shiptare. Wie Berisha mit Niederlagen umgeht, ist bekannt.