Bonn will Öcalan vorerst doch nicht

■ Die Bundesregierung verzichtet auf einen Antrag zur Auslieferung

Freiburg (taz) – PKK-Chef Öcalan wird nicht nach Deutschland ausgeliefert. „Die Bundesregierung hat ihr Auslieferungsersuchen vorerst zurückgestellt“, gab Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye gestern bekannt. Zur Begründung hieß es, daß es näherliege, Öcalan in die Türkei zu bringen, als einen Strafprozeß in der Bundesrepublik zu führen.

Bisher liegen Haftbefehle gegen Öcalan nur seitens der Bundesrepublik und der Türkei vor. Die Türkei hat die Auslieferung beantragt. Wenn ein deutsches Ersuchen hinzugekommen wäre, hätte Italien sich entscheiden müssen. Sicher wäre es aber möglich gewesen, Rom mitzuteilen, daß die Bundesregierung eine Auslieferung an die Türkei bevorzuge.

Der Grund für die deutsche Zögerlichkeit liegt daher eher anderswo: Man wollte Italien offensichtlich den Weg offenhalten, Öcalan Asyl zu gewähren. Bonn hat 40 Tage Zeit, eine Auslieferung zu beantragen. Möglicherweise kann diese Frist um 20 Tage verlängert werden. Der Antrag liegt quasi fertig in den Schubladen. Er stützt sich inhaltlich auf Unterlagen der Bundesanwaltschaft (BAW) in Karlsruhe. Diese hat den Fall Öcalan nach einer „Aktualisierung“ des Haftbefehls inzwischen „vorerst“ abgeschlossen. „Die Entscheidung liegt jetzt in Bonn“, sagte BAW-Sprecherin Eva Schübel gestern auf Anfrage.

Ursprünglich bezog sich der Haftbefehl auf den 1984 in Rüsselsheim ausgeführten Mord an einem vermeintlichen PKK-Verräter, den Öcalan in Auftrag gegeben haben soll. Vorgeworfen werden ihm seither Mord und Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung. Dieser Haftbefehl wurde 1990 von der Bundesanwaltschaft ausgestellt.

Im Rahmen der jetzigen „Aktualisierung“ wurden in Karlsruhe auch die PKK-Prozesse der letzten Jahre ausgewertet. Erwähnung findet nun auch die Anschlagsserie gegen türkische Einrichtungen Anfang der 90er Jahre. Die Spendenerpressung bei in Deutschland lebenden KurdInnen wurde dagegen nicht zum Gegenstand des Haftbefehls gemacht.

Auch wenn der Haftbefehl damit sogar weiter untermauert wurde, ist es eine politische Frage, ob ein Auslieferungsersuchen gestellt wird. Eine rechtliche Verpflichtung besteht nicht. Im Laufe der Woche hatten Außenminister Joschka Fischer (Bündnisgrüne) und Innenminister Otto Schily (SPD) in Rom über den Fall Öcalan verhandelt. Auf die Frage, ob dort das jetzige Vorgehen abgesprochen wurde, hieß es gestern nur: „Kein Kommentar“. Christian Rath