Shooting-Star der Werbeszene

Sebastian Turner, Gesellschafter von „Scholz&Friends“, hat in der Hauptstadt das Kartell altbackener Werbeagenturen aufgemischt. Mit der „FAZ“-Kampagne „Dahinter steckt immer ein kluger Kopf“ ist er zum feschen Unternehmertypus des neuen Berlin aufgestiegen. Ein Porträt  ■ von Holger Stark

Bei Sebastian Turner klingt eine Kampfansage genauso höflich wie eine Hochzeitseinladung, auch wenn sie direkt an die Adresse der Großmoguln der Werbung in Hamburg, Köln oder Düsseldorf gerichtet ist. „Es gab in der Bundesrepublik ein Grundverständnis, daß ausgezeichnete Werbekreationen nicht aus Berlin kommen können“, sagt Turner. „Die Zeiten sind vorbei.“

Neulich gab Turner wieder einmal Anlaß zu Ärger in den renommierten Werbeagenturen: für die Herren Springer und Jacoby, Schirner, von Matt oder die deutsche Dependance von Saatchi& Saatchi. In Cannes fand das wichtigste Werbefestival der Welt statt. Sebastian Turners Agentur Scholz &Friends Berlin reichte wie die Konkurrenz eine Reihe von Arbeiten ein. Die meisten Bewerber gingen leer aus, lediglich die Hamburger Agentur Springer&Jacoby wurde mit einem goldenen Löwen prämiert. Turner dagegen brachte drei Löwen mit nach Berlin. Die goldenen Löwen von Cannes gelten als die Oscars der Werbebranche.

Scholz&Friends Berlin ist dieses Jahr zum zweiten Mal prämiert worden. „Wenn man so will, sind wir die erste deutsche Mannschaft, die zweimal hintereinander in die Wertung gekommen ist“, sagt Turner. Die drei goldenen Löwen sind der größte Erfolg einer deutschen Werbeagentur seit 45 Jahren. Und das gelang ausgerechnet einer Agentur aus Berlin.

Noch Anfang der neunziger Jahre lästerte ein Branchenblatt, Berlin könne sich vielleicht mit Solingen vergleichen oder mit Montabaur. Doch seit der Wende und der Öffnung der Stadt hat sich ein kreatives Potential entwickelt, das langsam, aber sicher den großen westdeutschen Häusern Konkurrenz macht. Berlin gilt mittlerweile als einer der interessantesten Standorte, Scholz&Friends Berlin als Vorreiter dieser Entwicklung und der geschäftsführende Gesellschafter Turner wiederum als einer der Köpfe der Agentur. Die Ambitionen der Berliner wären kein Problem, wenn sich die Hauptstädter auf das beschränken würden, was ihnen nach Ansicht der Hamburger und Kölner zusteht: den ostdeutschen Markt abzudecken, für die zu werben, für die man sich an Alster und Rhein sowieso nicht interessiert. Daß Scholz&Friends den Außenauftritt der bis dato altbackenen Berliner Zeitung entstauben durfte, paßt in dieses Bild. Aber spätestens als Turner&Co. Ende 1995 die Ausschreibung der Frankfurter Allgemeinen gewannen, horchte die Konkurrenz auf.

Turner entwarf eine Imagekampagne, die den FAZ-Slogan aus den 50er Jahren, „Dahinter steckt immer ein kluger Kopf“, personalisierte. Er gewann eine Reihe von Prominenten als Werbefiguren, ohne diese allerdings aufdringlich in Szene zu setzen: Die Prominenten selbst sind durch die FAZ verdeckt, die Umgebung und ein kleiner Untertext aber transportieren mehr Informationen, als es ein kluger Kopf jemals könnte. Daß Scholz&Friends den ruhigen Fußballtrainer Jupp Heynckes von Real Madrid in die Stierkampfarena Las Ventas lockten, eine FAZ in den Händen, ist ungewöhnlich für deutsche Werbung.

Nahezu undenkbar für die behäbige Frankfurter Allgemeine schien die Idee, das erotische Topmodel Nadja Auermann inmitten einer Gruppe von Giraffen in den Berliner Zoo hinter eine FAZ zu setzten; das Motiv ist genauso überraschend wie erfolgreich und läuft in Frankfurt unter dem Arbeitstitel „Lange Beine“. Jupp Heynckes ist bei Real Madrid mittlerweile gefeuert, der FAZ aber brachte die „Kluger Kopf“-Kampagne das beste Image aller deutschen Medienhäuser und steigende Abozahlen.

Für Scholz&Friends und den Creative Director der Idee, Sebastian Turner, war der Auftrag Gold wert: Schnell wurde die Kampagne zu einer der erfolgreichsten Deutschlands, ausgezeichnet in Cannes und New York und vom Art Directors Club. Scholz& Friends Berlin ist in der ersten Liga der Agenturen angekommen, in den Ranglisten als einzige Berliner Agentur unter den Top ten der kreativsten Werber Deutschlands, als Shooting-Star der Branche.

Sebastian Turner hatte 1990 zusammen mit seinen Freunden Olaf Schumann und Thomas Heilmann in Dresden eine kleine Firma namens Delta Design gegründet, was nach Werbeagentur klang, aber nach Studentenprojekt aussah. Turner war gerade 24 Jahre alt und aus den USA zurückgekehrt, wo er sein Studium der Politikwissenschaft abgeschlossen hatte. Turner &Co. zögerten 1990 nicht, direkt in die noch bestehende DDR zu gehen. Daß es eine Werbeagentur wurde, war eher Zufall; die drei hätten genausogut ein Meinungsforschungsinstitut oder einen Pizzaservice gründen können. „Der wesentliche Reiz war, Unternehmer zu werden“, sagt Turner. „Wenn man Arzt werden will, braucht man zum Operieren eine lange Fachausbildung, eine Zulassung und einen Operationssaal. Wir hatten weder Ahnung noch Geld. Daraus ergibt sich dann so etwas wie Werbung.“

Dresden bot sich deshalb an, weil Turners Freund Olaf Schumann dort aufgewachsen war. Werbung Anfang 1990 in Dresden, das war ungefähr so verbreitet wie McDonald's 1970 in Moskau. Kommerzielle Werbung war im Straßenbild kaum zu sehen, die Betriebe brauchten Telefone, Kopierer und Computer – keine Hochglanzanzeigen. Also sattelten die drei Existenzgründer um und organisierten die erste Dresdner Messe für Büroartikel. Die Stände vermietete Delta Design an große Firmen wie Canon. Die Messe wurde ein Erfolg und brachte das erste Geld.

Auch das zweite Projekt erinnert mehr an eine Arbeitslosenbeschaffungsmaßnahme für arbeitslose Akademiker als an Werbung: Im März 1990, vor den letzten Wahlen zur Volkskammer, fuhren die drei durch westdeutsche Universitätsstädte und suchten Helfer für den DDR-Wahlkampf: westdeutsche Studenten, die sich für die DDR und Politik interessierten und als Wahlhelfer Plakate kleben und Flugblätter verteilen sollten.

Durch die beiden Initiativen war in der Firmenkasse genug Geld für die nächste Idee – Sparte Immobiliendeveloper. Turner, Schumann und Heilmann setzten monatelang ein altes, leerstehendes Fabrikgebäude instand, vermieteten die eine Hälfte, zogen in die andere und machten endlich das, was sie sich vorgenommen hatten: Werbung. Einer der ersten Auftritte der Jungunternehmer war eine Kampagne für die Sächsische Zeitung. Sachsen galt nicht gerade als weltoffenes, freundliches Land, sondern eher als Treffpunkt schlagkräftiger Jungrechter, und die Sächsische Zeitung hatte mit der Süddeutschen Zeitung wenig mehr gemein als die Anfangsbuchstaben. Also entwickelte Sebastian ein Konzept, das die Klischees über Zeitung und Land konterkarieren sollte. Das Ergebnis war ein mittlerweile fast legendäres Motiv: eine Porträtaufnahme eines Schwarzen vor weißem Hintergrund und mit der überdimensionalen Headline „Ein Sachse“. Sam Meffire war der erste schwarze Polizist im Biedenkopf-Land und gebürtiger Sachse. Die Annonce funktionierte, brachte die Zeitung ins Gespräch und auch die Agentur. Von da ab ging alles wie von selbst.

Je mehr Aufträge kamen, desto schneller mußte Delta Design wachsen. Fremde Hilfe schien unvermeidlich. Sebastian Turner, Olaf Schumann und Thomas Heilmann fuhren 1991 nach Hamburg, stellten sich bei der renommierten Agentur Scholz&Friends vor und boten eine Kooperation an. Die noblen Norddeutschen staunten nicht schlecht, als die drei Wahl-Ossis vor der Tür standen, alle Mitte Zwanzig und Frischlinge im Geschäft. „Wir waren auf Praktikantenniveau“, sagt Turner mit einem Lächeln. „In Hamburg haben wir uns eine Portion Erfahrung abgeholt.“ Die Scholz&Friends-Zentrale war beeindruckt und übernahm 52 Prozent der Anteile. Die drei Gründer halten noch jeweils 16 Prozent. Seitdem nutzt Turner „das Segel Scholz& Friends“, obwohl die Firma getrennt von Hamburg operiert.

Der Rest ist schnell erzählt: Wieder war es ein Goldgräbergefühl, das Turner&Co. 1992 nach Berlin trieb. „Berlin war ganz klar die spannendste Stadt in ganz Deutschland“, sagt Turner, der die Metropole seit Mitte der achtziger Jahre kennt. Sein Vater George Turner war damals als Rektor der Uni Hohenheim vom CDU/FDP- Senat als Wissenschaftssenator nach Berlin gebeten worden. Die Anziehungskraft Berlins seit dem Mauerfall beschreibt Sebastian Turner als einen „Magnetismus“. Das erste Büro von Scholz& Friends in Berlin lag an der Schnittstelle des Umbruchs, dem Checkpoint Charlie. Wie auf Bestellung steigerten Scholz &Friends Berlin den Umsatz jährlich um zehn Millionen und weiteten die Geschäftsfelder von Ostdeutschland und Berlin auf das gesamte Bundesgebiet aus. Heute gehören neben der FAZ und der Sächsischen Zeitung auch Meissen Porzellan, Herlitz und einige Banken zu den größeren Kunden. Das Unternehmen beschäftigt mittlerweile knapp achtzig festangestellte Mitarbeiter. 1997 setzte die Firma rund achtzig Millionen Mark um. Thomas Heilmann kümmert sich um die juristische Seite, Olaf Schumann um den visuellen Bereich. Sebastian Turner ist Texter, Creative Director und geschäftsführender Gesellschafter.

Ein Faible für die Entwicklung von Märkten und Zielgruppen hat Turner schon immer bewiesen. Zu Schulzeiten, im schwäbischen Stuttgart, initiierte der Abiturient eine Schülerzeitung. Nach dem Abitur witterte er einen Informationsbedarf für Schülerzeitungsredakteure und entwickelte ein Magazin für den Mediennachwuchs. Als diese Zielgruppe zu klein schien, schrieb er fortan nur noch für richtige Redakteure. Das Medium Magazin entwickelte sich als vierfarbige Hochglanzzeitschrift und ist heute ein angesehenes Branchenblatt. Als er von der Universität Bonn an die Duke University in den USA ging, verkaufte er das Medium Magazin an einen österreichischen Verlag. Der Erlös war später der Grundstock für seine Einlage in die Werbeagentur.

Heute repräsentiert Sebastian Turner, Jahrgang 1966, jenen Unternehmertypus, der den Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen ebenso glücklich macht wie den Bundespräsidenten Roman Herzog: den Prototyp von Diepgens „Standort Berlin“-Vision und Herzogs „Republik- Ruck“-Adressaten. Die Werbeagentur residiert mitten im neuen Berlin in der Chausseestraße; eine umgebaute und voll modernisierte alte Pianofabrik verbreitet den Charme von New Yorks Kreativen-Viertel SoHo. „Wenn wir nicht ein eigenes Qualitätsprofil entwickeln, haben wir keine langfristige Perspektive. Sich nur auf die neuen Länder zu spezialisieren ist wie Einmauern in einer Nische.“ Denn mittlerweile hat man auch anderswo verstanden, daß Berlin sich wandelt. Viele Agenturen wollen an der Spree Fuß fassen, und inzwischen existieren etliche „kleine, heiße Läden“.

Turner, Vater eines kleinen Sohns, „backt“ sich „den eigenen Nachwuchs“ selbst. An der Hochschule der Künste (HdK) hat er seit kurzem eine Gastprofessur. Beim „Creative Village“, einer von Turners Ideen, bündelt er die Energien von Scholz&Friends, n-tv, der Multimedia-Schmiede Pixelpark, der Tageszeitung taz und einer Journalistenschule. Seit 1996 bildet das „Creative Village“ jährlich etwa ein Dutzend Leute in der Medienwelt aus, mit mittlerweile guten Berufsaussichten. Nebenbei läßt er Studenten in seiner Agentur arbeiten und zahlt ihnen bis zum Examen das, was sie beim Kellnern in der Kneipe verdienen würden. „Die Leute sind so engagiert, daß man sie hier abends rausschmeißen muß“, sagt Turner und sieht das als einen Beleg dafür, daß das Prinzip Scholz&Friends Berlin funktioniert. „Wir wollen eine Sache machen“, sagt Turner, „die aber richtig.“

Vielleicht tut er es ja doch eines Tage seinem Vater nach und wechselt in die Politik. Mitarbeiter bemängeln, daß Turner gelegentlich ein bißchen zu sehr von sich überzeugt sei. Auf die Frage, warum er nicht Journalist etwa bei der FAZ geworden ist, antwortet er, das komme wohl nicht in Frage, weil dort das Unternehmerische fehle. Da bleibt er lieber auf der anderen Seite des Blattes – da, wo die klugen Köpfe sitzen.