Baku wartet auf den Boom

Aserbaidschans Hauptstadt gilt als Eldorado der Ölbarone. In keine andere Stadt der früheren Sowjetunion fließt soviel Geld. Die Bevölkerung hat wenig davon  ■ Aus Baku Jürgen Gottschlich

Rafik Alijew zeigt auf das Meer: „Dort draußen, die Bohrtürme sind alle in Betrieb, dort wird Öl gepumpt.“ Für einen uneingeweihten Besucher scheint die Behauptung unglaubwürdig. Was da aus dem Meer aufragt, ist ein Wald rostiger, verrotteter Eisenstangen. Die Plattformen sind leer, kein Mensch ist zu sehen. Einzig eine riesige Öllache, die langsam an das mit Betonbrocken befestigte Ufer schwappt, spricht für Rafik. Und der Geruch. Es stinkt nach Öl, aber der Gestank kommt nicht vom Meer. Mit leisem Quietschen bewegen sich auch an Land uralte Pumpen, die aussehen, als würden sie just ihre letzte Umdrehung machen. Zwischen den Pumpen bilden sich große Lachen eines Gemisches aus Wasser und Öl, die für den Gestank verantwortlich sind. Fast alle Leitungen sind geborsten, an einigen Stellen sickert ein dunkler Sud in die Pfützen.

Das Ölfeld beginnt direkt an der südlichen Stadtgrenze der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku und erstreckt sich bis zum Horizont. Rafik Alijew kennt sich hier aus. Er ist einer der „Red Adairs“ Aserbaidschans. Wenn eine Ölquelle brennt, eine Gasexplosion droht oder eine andere Havarie auf einer der Plattformen passiert ist, kommen er und seine Brigade zum Einsatz. Drei größere Unfälle hat es in diesem Jahr bereits gegeben. Im Mai stand eine ganze Plattform in Flammen. Vier Tage, erzählt Rafik, waren sie damals Tag und Nacht im Einsatz. Der schmächtige, vielleicht vierzigjährige Mann spricht leise, fast schüchtern. „Wenn wir zum Einsatz kommen, riskiert jeder aus der Brigade sein Leben.“

Dr. Faik Askerow ist ebenfalls um die vierzig Jahre alt und wie Rafik Alijew im Ölgeschäft. In seinem auf Öko getrimmmten Büro gerät er ins Schwärmen. Begeistert berichtet er, daß seine Firma nur das neueste und beste Material, die fortgeschrittenste Technik, „gemessen am Weltstandard“, benutzt. „Ölförderung“, da macht Faik Askerow keinen Hehl draus, „ist immer eine Beeinträchtigung der Natur. Aber wir sind dazu da, diese Schäden zu minimieren.“ Für den ökologischen Gau vor den Toren Bakus ist Askerow allerdings nicht zuständig. Er ist der verantwortliche Abteilungsleiter für Umweltschutz bei der Aserbaidschan International Operating Company (AIOC), dem größten und einflußreichsten Konsortium westlicher Ölkonzerne, die seit 1992 in Baku aktiv sind. AIOC fördert Öl rund hundert Kilometer vor der Küste Aserbaidschans.

Seit einem Jahr ist ihre erste Plattform, „Chirag 1“, in Betrieb. Faik Askerow hat gelernt, daß Imagefragen im weltweiten Ölgeschäft von zunehmender Bedeutung sind. Kürzlich hat er den Vorsitzenden der größten unabhängigen Umweltorganisation Aserbaidschans auf die Plattform mitgenommen. „Der war nach der Besichtigung wie verwandelt“, erinnert sich Askerow. „Die Organisation hat jetzt positive Erklärungen zu unserer Arbeit abgegeben.“

AIOC residiert in einem weitläufigen Komplex an der Uferpromenade von Baku. Der Blick aus den Panoramafenstern in dem sorgfältig restaurierten Gebäude fällt auf den Teil der Bucht von Baku, der nicht mit uralten Bohrtürmen aus Sowjetzeiten vollgestellt ist. Nach den Vorstellungen der neuen Ölbarone wird das auch so bleiben. „Wir“, sagt Tamam Bayatly, die aserbaidschanische Sprecherin des Konsortiums, „werden uns nur off shore engagieren.“

Auch die weiteren in Aussicht genommenen Ölförderplattformen der westlichen Konzerne werden alle rund einhundert Kilometer von der Küste entfernt entstehen. Mit dem Schrott aus Sowjetzeiten wollen die neuen Ölbarone nichts zu tun haben. Statt dessen knüpfen Konzerne wie British Petroleum (BP), die die Führung im AIOC-Konsortium inne haben, an die Traditionen aus vorsowjetischen Zeiten an.

Um die Jahrhundertwende gehörte Baku bereits einmal zu den größten Ölzentren der Welt. Alfred Nobel verdiente hier seine Millionen, die Rothschilds und Rockefellers mischten auf den Ölfeldern am Kaspischen Meer kräftig mit. Die damals an der Uferpromenade errichteten Paläste werden jetzt von den Ölkonzernen restauriert und wieder in Beschlag genommen.

1994 wurde der „Jahrhundertvertrag“ zwischen der aserbaidschanischen Regierung und der AIOC abgeschlossen. Seitdem hat das Konsortium, an dem BP 20 Prozent und vier US-Konzerne, darunter Exxon und Amoco, 40 Prozent halten, rund 1,6 Milliarden Dollar investiert. In keine andere Stadt der früheren Sowjetunion ist in den letzten vier Jahren soviel Geld geflossen wie nach Baku. Das führt zu grotesken Ungleichzeitigkeiten.

Einzelne Häuser der Altstadt, in denen sich die Konzerne eingerichtet haben, sind mit großem Aufwand restauriert worden. Statt in Glaspalästen sitzen die Ölmanager von heute wieder hinter Gründerzeitfassaden, während vom Haus nebenan weiterhin der Putz abblättert und die Holzloggien abzustürzen drohen. Der neue Reichtum ist schon von weitem erkennbar. Alle Konzernzentralen im Gassengewirr der Altstadt sind mit großen Satellitenschüsseln auf dem Dach ausgestattet. Während die Ölkonzerne, diverse Beratungsfirmen und andere Dienstleistungsunternehmen mit modernstem westlichen Know-how ausgerüstet sind, funktioniert die Infrastruktur in Baku nur begrenzt. In allen übrigen Häusern gibt es Wasser nur sporadisch und auch der elektrische Strom fällt immer mal wieder aus.

Noch krasser sind die sozialen Unterschiede. Auf den kaputten Straßen der Stadt werden auffallend viele westliche Luxuskarossen bewegt, vorzugsweise die mit dem Stern aus Stuttgart. Das durchschittliche monatliche Einkommen beträgt dagegen immer noch nur rund 40 Dollar. Rafik Alijew, der „Red Adair“ der staatlichen Ölgesellschaft Socar, bekommt umgerechnet 60 Dollar im Monat. Wenn's brennt, gibt es eine Gefahrenzulage. „Für die vier Tage an der brennenden Ölplattform hat jeder aus unserer Brigade 150 Dollar bekommen“, berichtet er. Aserbaidschanische Angestellte der westlichen Konzerne können über diese Summen nur lachen. Auch ohne sich in Lebensgefahr zu begeben, verdient Dr. Faik Askerow ein vielfaches von dem, was Rafik Alijew nach Hause bringt. Reich werden kann nach wie vor nur, wer einen der begehrten Jobs bei einer Westfirma ergattert hat. Das hat besonders für den öffentlichen Sektor dramatische Auswirkungen. Lehrer, Polizisten, Dozenten, Professoren, selbst hohe Ministerialbeamte erhalten einen Hungerlohn. Das führt zum einen zu einer grassierenden Korruption und treibt zum anderen die besten Leute zu den ausländischen Konzernen. Emir Khan, der an der Universität von Baku Internationale Beziehungen studiert, erzählt, daß aus seinem Semester niemand zum Auswärtigen Amt will, denn: „Das kann sich keiner leisten.“

„Doch noch“, sagt Rafik Alijew, „hoffe ich, daß das Geld, das die Ölkonzerne ins Land bringen, auch einer breiteren Bevölkerungsschicht zugute kommen wird. In ein paar Jahren werden wir vielleicht auch davon profitieren“. Tatsächlich müßte die herrschende Klasse schon maßlos gierig sein, wenn sie auch in den kommenden Jahren allein kassieren würde.

Nach dem AIOC haben sich 14 weitere Ölkonsortien in Baku etabliert, über 2.000 westliche Konzerne sind nach US-Angaben in den kaspischen Ölfeldern engagiert. Dabei steht der große Sprung im Ölgeschäft erst noch bevor. Bislang ist AIOC das einzige Konsortium, welches bereits Öl fördert. Alle anderen sind noch dabei, ihre Claims zu untersuchen. Und auch AIOC beendet erst in diesen Monaten seine Erprobungsphase. Ende dieses Jahres wird die Ölpipeline an den georgischen Schwarzmeerhafen Supsa fertig sein. Bis jetzt enutzt AIOC eine russische Pipeline an den Schwarzmeerhafen Noworossisk.

Beide Pipelines sind vom Durchmesser nur für geringe Mengen ausgelegt. Wenn erst einmal alle Plattformen in Betrieb sind, soll die jetzige Tagesproduktion von 70.000 Barrel (ein enstpricht 159 Liter) auf 800.000 Barrel pro Tag hochgefahren werden. Um diese Mengen zu transportieren, muß eine neue, große Pipeline gebaut werden. Rußland, Georgien und die Türkei konkurrieren um den Zuschlag für dieses Milliardenprojekt. Die US-Regierung, die Rußland und vor allem Iran aus dem großen Ölgeschäft heraushalten will, unterstützt den Bau einer Pipeline an den türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan. Weil dies die längste und teuerste Verbindung ist, zögern die Ölkonzerne seit Wochen eine Entscheidung hinaus.

Wenn die Clinton-Regierung, die türkische Regierung und Aserbaidschans Präsident Hejdar Alijew aus politischen Gründen die Pipeline Baku–Ceyhan wollen, sollen sie die Mehrkosten auch zahlen, sagen die Ölmanager hinter vorgehaltener Hand. Der US- Kongreß hat bereits Mittel zur Verfügung gestellt, um die Prospektionsarbeiten für Baku–Ceyhan zu unterstützen und auch die türkische Regierung scheint gewillt, Subventionen bereitzustellen. Doch noch wird gepokert. Angestellte von AIOC hüten sich, ein Wort zuviel zu sagen. „Wir arbeiten hart an den Dokumenten, die für die Entscheidungsfindung notwenig sind.“ Mehr ist Tamam Bayatly dazu nicht zu entlocken.

Für die meisten Aserbaidschaner, vor allem den Opfern des Ölbooms, wird das große Geld jedoch zu spät kommen. Rafik Alijew kennt nicht nur die zerborstenen Ölpumpen, er kennt auch die Menschen, die mitten in dem Trümmerfeld südlich von Baku leben. Zwischen den Öllachen haben Flüchtlinge, die durch den Krieg zwischen Aserbaidschan und Armenien um Berg-Karabach aus ihren Dörfern vertrieben wurden, verfallene frühere Arbeiterwohnheime notdürftig wieder hergerichtet. Mit verrosteten Blechen wurde das Dach repariert, vor die Fenster ist Plastikfolie genagelt.

Allahverdi Bartas war früher Vorsteher der Bahnstation in Zengelan, einem Städtchen im Südwesten Aserbaidschans, nahe an der iranischen und armenischen Grenze. 1993 haben armenische Truppen mit russischer Unterstützung das Gebiet erobert und die Aserbaidschaner vertrieben. „Rußland hat durch den Krieg vergeblich versucht, seinen Einfluß in Aserbaidschan zurückzugewinnen“, meint Rafik. Nach einer Odyssee über den Iran kam Allahverdi Bartas mit seiner Familie nach Baku. „Niemand hat uns geholfen, wir haben von niemandem Unterstützung bekommen.“ Zuletzt haben sie sich in den Ölfeldern niedergelassen. Die Familie lebt von Gelegenheitsjobs der Männer. Innen ist die Baracke peinlich sauber, obwohl sich drei Generationen in den drei Zimmern drängeln. „Seit vier Jahren sind wir jetzt hier“, sagt Allahverdi, „seit Jahren verspricht die Regierung, daß wir zurück können.“ In dieser Hütte ist die Erwartung vom großen Geld nie angekommen, obwohl die Familie ohne das Öl wahrscheinlich noch in ihrem Dorf leben würde. „Was sollen wir machen“, zuckt der Familienvater mit den Schultern. „Wir haben die Hoffnung auf eine Rückkehr noch immer nicht aufgegeben.“