In Jakarta brennen die Kirchen

Indonesiens zivile Ordnung steht vor dem Zusammenbruch. Gestern brannten Muslime vier Kirchen und einen Spielsalon nieder. Sechs Angehörige der christlichen Minderheit wurden erschlagen. Der Anlaß waren Vermutungen  ■ Aus Jakarta Jutta Lietsch

„Nieder mit den Heiden!“, ruft ein Mann mit weißer Kopfbedeckung ins Mikrophon. Hinter ihm auf einem kleinen Transporter halten seine Kollegen eine große weißgrüne Flagge in den Wind. „Front zur Verteidigung des Islam“, steht darauf. Seine Zuhörer, meist in einfacher und ärmlicher Kleidung, jubeln, als er zum Kampf gegen die Ungläubigen aufruft.

Immer mehr Männer schlendern herbei, viele von ihnen mit Bambusstöcken, Holzlatten oder Messern bewaffnet. Drumherum lagern im Schatten ihrer Armeelastwagen, scheinbar ungerührt, hunderte Soldaten, ihre automatischen Gewehre im Arm.

Einen halben Häuserblock weiter kokeln noch die Mauern der beiden christlichen Kirchen und eines Spielsalons, die wenige Stunden zuvor in Brand gesteckt worden sind. Ein Krankenwagen holt die Leiche eines Mannes ab, der von einer wütenden Menge erschlagen wurde.

Ein Gerücht, ein harmloser Streit reichen derzeit in Indonesien, um die Atmosphäre zur Explosion zu bringen. Die zivile Ordnung steht vor dem Zusammenbruch. Diesmal demonstrieren nicht wie in den vergangenen Wochen StudentInnen gegen die Regierung. Statt dessen erinnert die Szene im Chinesenviertel von Jakarta an die schweren Unruhen im Mai dieses Jahres, als nicht weit von hier entfernt, auf der Gajah- Mada-Straße des Viertels Glodok, Häuser und Geschäfte gestürmt, geplündert und in Brand gesteckt wurden. Die Gewalt richtete sich damals gezielt gegen die chinesische Minderheit. 1.200 Menschen starben und Präsident Suharto mußte zurücktreten.

Die Auslöser der neuen Unruhen sind noch nicht klar. Anwohner sagen, Angehörige der ambonesischen Minderheit – überwiegend Christen – seien in der Nacht in einem Spielsalon in Streit mit den javanischen Nachbarn geraten, die sich über den Krach beschwert hätten.

Am Morgen habe jemand Steine in ein muslimisches Gebetshaus hinter dem Gebäude geworfen. Als das bekannt wurde, versammelte sich eine empörte Menge. Die Spielhalle ging in Flammen auf. Die Ambonesen, die von den Molukken-Inseln stammen, hätten sich in der angrenzenden protestantischen Kirche versteckt, heißt es. Nachdem das Gotteshaus brannte, rannten die Leute nur ein paar hundert Meter weiter zur Gemeinde der Pfingstler und zündeten die zweite Kirche an.

„Glücklicherweise war gerade keine Messe“, sagt Pastor Nico van der Krogt später erschüttert. Niemand kam in den Kirchen und im Spielsalon zu Schaden. Insgesamt sollen an diesem Sonntag in Jakarta vier Kirchen in Flammen aufgegangen sein.

Die Raserei endet nicht: Löschzüge der Feuerwehr werden von den Leuten am Heranfahren gehindert, sechs Männer von der Menge gefangen. Sie würden zu den Ambonesen gehören, die angeblich die Gebetshalle angegriffen hätten, behauptet jemand. Dann werden sie mit Stangen, Messern und abgebrochenen Flaschen umgebracht.

„Kommen Sie“, ruft ein Anwohner in einer Seitengasse, „hier ist ein Zeuge. Er hat zugegeben, daß er von Chinesen dafür bezahlt wurde, das Gebetshaus zu zerstören.“ Zwischen den engen ebenerdigen Wohnhäuschen stehen dicht gedrängt die Nachbarn und zeigen auf eine Tür. Dahinter sitzt ein von schwerer Prügel gezeichneter Mann mit aufgequollener Lippe und nacktem Oberkörper. Er wirkt apathisch. Die aufgeputschten Zuhörer, einige mit Eisenketten und Stangen in der Hand, warten darauf, ihn weiter zu „bestrafen“. Von den Polizisten und Soldaten ist hier niemand zu sehen.

Am späten Nachmittag sind noch ein paar Hundertschaften des Militärs vor dem gläsernen Einkaufszentrum Plaza Gajah Mada aufgefahren, wo religiöse Hetzredner immer mehr Publikum anziehen. Schließlich marschieren Gruppen von mehreren hundert meist sehr jungen Männern weiter in Richtung Hafen. Marineinfanteristen versuchen halbherzig, sie am Plündern zu hindern.

Die brennenden Kirchen sind für viele Indonesier höchstes Alarmsignal: Denn obwohl es in den vergangenen Jahren häufiger religiös begründete Unruhen gab und im ganzen Land fast 400 christliche Kirchen angegriffen wurden, blieb die indonesische Hauptstadt immer verschont. 85 Prozent der Indonesier, etwa 180 Millionen Menschen, sind Muslime. Knapp zehn Prozent sind Christen, fast alle sind Angehörige der ethnischen Minderheiten des Landes.

Unter Ex-Präsident Suharto war die Gleichbehandlung der Religionen zumindest theoretisch festgeschrieben. Aber nicht erst seit seinem Sturz gibt es starke muslimische Gemeinschaften, die eine stärkere politische Rolle des Islam anstreben. Zwar ist der neue Präsident B.J. Habibie selbst frommer Muslim, und seine Regierung hat erklärt, sie wolle künftig muslimische Firmen und Kooperativen fördern. Doch vielen muslimischen Gruppen geht dies nicht weit genug.

Regierungskritiker hegen den Verdacht, daß die religiösen Konflikte von reformfeindlichen Kräften geschürt werden, um die Demokratiebewegung zu bekämpfen. Der liberale Führer der „Gemeinschaft der Religionslehrer“, mit über 30 Millionen Mitgliedern größte muslimische Organisation des Landes, hat ausdrücklich davor gewarnt.

Undurchschaubar bleibt bislang die Haltung des mächtigen und nach den Schüssen auf die Studenten Mitte November restlos diskreditierten Militärs. Armeechef Wiranto gab gestern zu, daß scharf geschossen wurde, obwohl er den Befehl gegeben habe, gegen die Demonstranten nur Platz- und Gummipatronen zu verwenden. Allerdings sei noch nicht klar, wer die tödlichen Schüsse abgab.

Bei den Protesten gegen die „Beratende Volksversammlung“ waren 16 Menschen umgekommen. Sechs Soldaten sollten wegen Mißhandlung von Demonstranten vor ein Militärgericht gestellt werden. Etwa hundert erhielten Disziplinarstrafen, sagte er. Die Armee äußerte sich gestern nicht dazu, warum sie die Kirchenbrände nicht verhindern konnte.