Kontrollierter Witz

■ Einst war die Zeitschrift "Mad" die Freude des Jugendzimmers. Jetzt gibt es sie wieder - aber sie ist nur das Anhängsel einer Show von RTL

Der grinsende Kopf mit den abstehenden Ohren war hierzulande schon fast vergessen. Doch jetzt lächelt Alfred E. Neumann wieder mit obligatorischer Zahnlücke aus den Regalen der Zeitschriftenkioske: Der Stuttgarter Dino Verlag hat in Zusammenarbeit mit RTL das 1995 eingegangene Mad wieder auf den Markt gebracht.

Einst war die Comiczeitschrift der monatliche Lichtblick im Leben ihrer jugendlichen Käufer. In ihren besten Zeiten verkaufte Mad 200.000 Exemplare. Die unendlichen Titel-Variationen mit Alfred E. Neumann verschönerten so manches Jugendzimmer, und die schwarzweißen, auf billiges Papier gedruckten Filmparodien vermittelten ihren Lesern immer wieder die Gewißheit, daß alle anderen Erzeugnisse der Menschheit dümmer und schlechter waren als Mad – das einst als das „vernünftigste“ firmierte, nun als das „intelligenteste Magazin der Welt“. Der Clou war damals der Klapprücktitel, mit dem man sich durch Zusammenfalten allmonatlich den gleichen Witzeffekt verschaffen konnte.

Doch irgendwann wollte keiner mehr Alfreds Sprüche lesen, die Auflage sank, und das Heft verschwand in Deutschland aus den Regalen, ohne daß darum viel Aufhebens gemacht worden wäre. Jetzt kommt im Geleitzug der teilweise recht gelungenen Mad-TV- Show auf RTL – inklusive Klapprücktitel – auch das Mad-Heft wieder in die Läden. Wer einst zu dessen Lesern gehörte, muß sich nicht groß neu orientieren: Das meiste besteht aus Bekanntem. Das wird wie früher aus der seit 1955 bestehenden US-Ausgabe übernommenen. Da sind z.B. die „Spion & Spion“-Geschichten oder Comic- Klassiker von Don Martin. Neu ist, daß einige der ursprünglich schwarzweißen Cartoons koloriert sind. „Wir leben in den 90ern“, hält Redaktionsleiter Jo Löffler eventuellen Mad-Nostalgikern entgegen. Die US-Kollegen seien von den bunten Bildern begeistert gewesen.

Die wichtigste Neuerung, aber vor allem grottenschlecht ist das „Mad-TV“ genannte „Heft im Heft“. Das soll, laut Werbung, zu einem „Forum für deutsche Comic-Künstler“ werden, versammelt in Wahrheit aber zeichnerische Peinlichkeiten. „Jungtalente aus der Berliner Kunst-Szene“ hat Löffler dafür angeblich aufgetan. Auf den von der deutschen Mannschaft erstellten Seiten werden lediglich RTLs Comedy-Serien zeichnerisch „karikiert“. Heraus kommt bei diesem merkwürdigen Konzept ein Produkt, das nicht einmal ärgerlich, sondern einfach nur quälend langweilig ist. „Wir benutzen das Korsett für unsere eigenen Witze“, versucht Löffler eine Begründung. Die Kontrolle über die „eigenen Witze“ hat aber RTL. „Wir bekommen vom Dino Verlag die Zeichnungen und geben die frei“, erzählt Frank Rendez von RTL. Es ginge schließlich nicht an, daß RTL-Star Kaiser „Brechreiz bekommt, wenn er das Heft aufschlägt“. Es könne freilich sein, räumt Mad-Macher Jo Löffler ein, daß man „das Geschmäckle einer RTL-Hauspostille“ bekomme. Bei RTL hingegen betrachtet man die Sache als das, was sie ist: als Werbung, genauer gesagt als „Crosspromo“. Das Heft soll für die Sendungen werben, während auf RTL für das Heft geworben wird.

Mad-Chefredakteur Max Müller rechnet trotz oder wegen des „Gschmäckles“ mit einem Erfolg und will „in Mad reinpowern, damit sich das entwickelt“. Für die ersten sechs Monate hat er sich eine Zielvorgabe von 100.000 verkauften Exemplaren monatlich gesetzt. Eine halbe Million Mark läßt sich der Verlag allein die TV-Werbung für die ersten sechs Hefte kosten, um mit der Zeitschrift die „elitäre Jugendzielgruppe“ der 15- bis 20jährigen Gymnasiasten und Studenten zu erreichen.

Aber sind es noch Witze wie diese, die Abiturienten vom Hocker reißen: „Bill Clinton, Vorkämpfer für freie Öffnungszeiten, geht mit gutem Beispiel voran und hat ständig seinen Hosenladen offen“? Ist es das Kaliber, das Studenten von Titanic zu Mad wechseln läßt? Vom ersten, fast anzeigenfreien Heft jedenfalls setzte man selbst nach Verlagsangaben trotz aller Crosspromo nur 75.000 Stück ab. Herbert Feuerstein, früher Mad-Chefredakteur, hatte schon im Vorfeld abgewunken, der Zeitschrift noch einmal beizustehen. Mit einem „20 Jahre alten Baby“ zu arbeiten, habe er keine Lust. Matthias Thieme