Generäle als Kidnapper

Ein weiterer Ex-Chef der argentinischen Diktatur sitzt wegen der Entführung von Kindern „Verschwundener“ ein  ■ Von Bernd Pickert

Berlin (taz) – Der eine ist 73 Jahre alt, der andere gerade 21. Emilio Eduardo Massera ist Admiral a.D. und gehörte der argentinischen Militärjunta an, als Javier Gonzalo Penino im September 1977 geboren wurde. Als Oberbefehlshaber der Marine wachte Massera über das Folterzentrum Esma in Buenos Aires, die erste Station für Verhaftete. Hier saß Cecilia Viñas ein, die gemeinsam mit ihrem Ehemann Hugo Reynaldo Penino am 13. Juli 1977 „verschwunden“ war. Cecilia war schwanger. Ihr Kind kam in der Esma zur Welt. Sie durfte es nicht behalten. Als Cecilia im Dezember aus der Esma verlegt wurde, sei das Kind nicht mehr bei ihr gewesen, erinnert sich eine damalige Mitgefangene.

Das Baby war Javier. Er teilt das Schicksal mit rund 200 weiteren Kindern, die in den Gefängnissen der Diktatur geboren oder ihren verschleppten Eltern im Säuglingsalter entrissen und an kinderlose Militärfamilien übergeben wurden. Der Unterschied: Seit drei Monaten weiß Javier, wer er ist.

Seine Eltern wird er nicht mehr kennenlernen – sie sind nie wieder aufgetaucht. 1984, schon nach dem Ende der Diktatur, rief Cecilia Viñas mehrfach bei ihrer Familie an, ohne sagen zu können, wo sie sich befand. Sie bat eindringlich, ihr Kind zu suchen. Danach hörte niemand je wieder von ihr. Ihre Eltern wandten sich an die „Großmütter der Plazo de Mayo“, die sich bemühten, das Schicksal verschwundener Kinder herauszufinden. Deren Verdacht fiel schon bald auf den Marineoffizier Jorge Vildoza, der eine Unterabteilung der Esma geleitet hatte. Bei seinem Sohn Javier, so die Vermutung, könnte es sich um das Kind Cecilias handeln.

Der Verdacht schien sich zu bestätigen, als Vildoza den Wunsch verweigerte, den Jungen untersuchen zu lassen, um die Identität seiner Eltern festzustellen. 1985 setzte sich Vildoza aus Argentinien ins Ausland ab. Javier lebte weiter in der Familie und wuchs mit den Söhnen Vildozas auf.

Mitte dieses Jahres tauchte Javier, inzwischen volljährig, bei den Justizbehörden auf. Er bat von sich aus um eine genetische Untersuchung – er wolle wissen, wer er sei. Die Untersuchung ergab: Javier ist der Sohn Cecilias. Am 19. August nahm er erstmals Kontakt zu seiner leiblichen Familie auf.

Javier Gonzalo Penino ist der zweite Fall, in dem die Entführung eines Kindes und dessen Verbleib genau nachgewiesen werden konnten. Kindesentführung war von den Ende der 80er Jahre verabschiedeten argentinischen Amnestie- und Schlußstrichregelungen expliziert ausgenommen worden – dies ist insofern die einzige Lücke, aufgrund derer die Verantwortlichen der argentinischen Diktatur von 1976 bis 1983 noch belangt werden können.

Masseras Junta-Kollege Jorge Videla sitzt, wegen eines nahezu identischen Falles, seit Juni dieses Jahres unter Hausarrest. Präsident Carlos Menem, der 1989 auch noch die letzten seit 1985 wegen ihrer Verbrechen zu lebenslangen Haftstrafen einsitzenden Militärchefs begnadigt hatte, kommentierte die Verhaftung da noch mit Mißbilligung. Inzwischen hat sich der Wind gedreht: Der Vorgang um Massera, sagten mehrere Regierungsmitglieder, sei ausschließlich Sache der Justiz.

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