Keine Beweisnot gegen Öcalan

Bundesanwaltschaft ist über eine Erklärung „hochrangiger Regierungskreise“ erstaunt. Anwälte des PKK-Chefs legen Plan zur friedlichen Lösung der Kurdenfrage vor  ■ Von Thomas Dreger

Berlin (taz) – Wenn Politiker etwas loswerden wollen, ohne später dafür geprügelt zu werden, bestehen sie auf Anonymität. In den Medien ist dann von sogenannten Kreisen als Informationsquelle die Rede. So berichtete gestern die Berliner Morgenpost unter Berufung auf „hochrangige Regierungskreise“, die in Deutschland gegen PKK-Chef Abdullah Öcalan vorliegenden Beweise reichten für eine Verurteilung nicht aus, ein Auslieferungsantrag sei folglich unsinnig. Wörtlich zitiert das Blatt besagte Kreise: „Öcalan würde hier freigesprochen.“

Bei der Generalbundesanwaltschaft löste das Empörung aus. Schließlich hat man erst am Wochenende einen seit 1990 vorliegenden internationalen Haftbefehl gegen den PKK-Chef aktualisiert. Neben Rädelsführerschaft bei einer Vereinigung, deren Zweck darauf gerichtet sei, Mord und Totschlag zu begehen, und einem Auftragsmord an einem „Abtrünnigen“ 1984 in Rüsselsheim wird ihm nun auch die Verantwortung für eine Serie von Anschlägen gegen türkische Einrichtungen im Jahr 1993 zugeschrieben. Ein internationaler Haftbefehl setze eine „wahrscheinliche Verurteilung“ voraus, hieß es gestern auf Anfrage der taz von der Bundesanwaltschaft. Gegen Öcalan bestehe „dringender Tatverdacht“, das Zitat in der Morgenpost sei „keine maßgebliche Meinungsäußerung“.

In Bonn wird gemunkelt, die annonyme Erklärung stamme aus dem Außenministerium. Schließlich habe man dort kein Interesse, durch einen Prozeß gegen Öcalan noch weiter in den türkisch-kurdischen Konflikt hineingezogen zu werden. Doch zumindest in der dortigen Presseabteilung will man davon nichts wissen. „Von uns stammt das nicht“, hieß es gestern, und auch aus dem Justiz- und dem Innenministerium lauteten die Antworten fast identisch. Dennoch mehren sich Stimmen, die einen Verzicht der Bundesregierung auf einen Auslieferungsantrag für Öcalan befürworten. Bundesjustizministerin Herta Däubler- Gmelin habe ihrem türkischen Amtskollegen Hasan Denizkurdu telefonisch mitgeteilt, die Türkei und Italien würden für den Fall Öcalan schon eine Lösung im Rahmen der Gesetze finden, berichtete gestern die türkische Tageszeitung Cumhuriyet.

Bayerns Innenminister Günther Beckstein warnte für den Fall einer Auslieferung Öcalans vor Gefahren für die Innere Sicherheit: „Obwohl die PKK in Deutschland verboten ist, kann sie Tausende mobilisieren.“ Ähnlich sieht das der Bundesverfassungsschutz. Seit dem 1993 vom damaligen Bundesinnenminister Manfred Kanther angeordneten Verbot der PKK habe sich die Zahl der militanten Anhänger der Organisation von 7.000 auf fast 11.000 erhöht, zitierte gestern dpa einen anonymen Verfassungsschützer. Zudem müsse von einem „Mobilisierungspotential“ von etwa zehn Prozent der in Deutschland lebenden Kurden ausgegangen werden, also etwa 50.000 Personen.

Genau diesen Eindruck versucht Öcalan, der in Rom politisches Asyl beantragt hat, zu zerstreuen. Gestern legten seine Anwälte einen Sieben-Punkte-Plan vor. Darin schwört der PKK-Chef der Gewalt ab und versichert, die PKK werde ihre Ziele nur noch politisch verfolgen. Statt eines Kurdenstaates wünsche er sich eine Autonomie, „ohne die territoriale Integrität des türkischen Staates zu verletzen“. Dies werde die PKK auf einem Parteitag absegnen. Schon die Einberufung dieses Gremiums würde eine Veränderung andeuten. Bisher waren Parteitage der PKK rar, Entscheidungen fällte Öcalan im Alleingang.