■ An seinem 83. Geburtstag gab es für Augusto Pinochet nichts zu feiern. Der ehemalige Diktator Chiles genießt keine diplomatische Immunität, entschied Großbritanniens Justiz gestern. Jetzt wird über seine Auslieferung entschieden.
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An seinem 83. Geburtstag gab es für Augusto Pinochet nichts zu feiern. Der ehemalige Diktator Chiles genießt keine diplomatische Immunität, entschied Großbritanniens Justiz gestern. Jetzt wird über seine Auslieferung entschieden.

Keine Liebesgabe für Pinochet

Die britischen Lordrichter machten es so spannend, wie es nur irgend gehen konnte. Einer nach dem anderen trugen sie vor, wie sie sich in der Debatte um die Immunität des chilenischen Ex-Diktators Augusto Pinochet entschieden hatten. Nachdem sich die ersten zwei Redner, Lord Slynn of Hadley und Lord Lloyd of Berwick, für, der dritte und vierte gegen die Immunität Pinochets ausgesprochen hatten, hingen Lords, Publikum, Pinochet und Fernsehzuschauer an den Lippen des letzten Sprechers, Lord Hoffmann. Als der erklärte, daß er nach Lektüre der ausgearbeiteten Argumentationen seiner vier Vorredner zu dem Schluß gekommen sei, Pinochet genieße keine Immunität, war selbst im ehrwürdigen Oberhaus lauter Jubel zu hören.

Das Londoner Hohe Gericht hatte am 28. Oktober den auf Ersuchen der spanischen Justiz erwirkten Haftbefehl gegen Pinochet mit der Begründung aufgehoben, er genieße als ehemaliges Staatsoberhaupt Immunität. Die Staatsanwaltschaft hatte dagegen Rechtsmittel eingelegt. Diesem Einspruch haben die Lordrichter jetzt stattgegeben. Damit bleibt Pinochet in britischer Gewahrsam.

Die Geister der Lords scheiden sich vor allem daran, ob es sich bei den Verbrechen, die die spanische Anklage Pinochet vorwirft, um solche handelt, die unter die souveränen Amtsgeschäfte eines Staatschefs fallen, also durch Immunität geschützt sind. „Folter und Geiselnahme, geächtet, wie sie im internationalen Recht sind, können nicht von der persönlichen Haftbarkeit ausgenommen werden“, schreibt Lord Nicholls of Birkenhead – und mit ihm die Mehrheit. Die Begründungen sind im Internet nachzulesen (www.parliament .uk).

Jetzt muß der britische Innenminister Jack Straw bis zum nächsten Mittwoch politisch entscheiden, ob das Auslieferungsverfahren durchgeführt oder eingestellt wird. Er kann sich für seine Entscheidung auch eine Woche länger Zeit nehmen.

Schon versuchen die alten Freunde Pinochets bei den britischen Konservativen, ihrerseits Druck aufzubauen: „Der Senator“ – gemeint ist der Ex-Diktator – „ist alt, schwach und krank, er sollte aus humanitären Gründen nach Chile abreisen dürfen“, erklärte etwa Baronesse Margaret Thatcher, eine Busenfreundin des ehemaligen Junta-Chefs, bei der Pinochet bei London-Aufenthalten gern zum Tee einkehrte.

Amnesty international, das mit Experten und Zeugen bei den Anhörungen der Lordrichter aufgetreten war, um das Verfahren gegen Pinochet zu unterstützen, freut sich über den Spruch: „Diese Entscheidung kann den Weg zu einer gerechteren Welt ebnen“, heißt es in einer Erklärung.

In der Tat. Wie immer das Auslieferungsverfahren weitergeht: Schon das bisherige Verfahren gegen den chilenischen Ex-Diktator ist ein Meilenstein in der Geschichte des Völkerrechts und ein gewaltiger zivilisationsgeschichtlicher Fortschritt. Mit dem Spanier Baltasar Garzón hat zum erstenmal ein Untersuchungsrichter oder Staatsanwalt Anklage erhoben und einen internationalen Haftbefehl gegen einen ehemaligen oder amtierenden ausländischen Staatschef wegen schwerer Menschenrechtsverstöße erlassen. Daß Untersuchungsrichter und Staatsanwälte aus der Schweiz, aus Frankreich, Schweden, Großbritannien, Belgien und Deutschland inzwischen dem Beispiel Garzóns folgten, zeigt, daß der spanische Jurist keineswegs mit seiner Interpretation der straf- und völkerrechtlichen Bestimmungen alleine dasteht.

Auch die Tatsache, daß die spanische Regierung Garzóns Auslieferungsbegehren folgte, ist ein Präzedenzfall. Und schließlich wurde im Fall Pinochet zum erstenmal der (ehemalige) Staatschef eines souveränen Landes im Ausland inhaftiert und über einen Monat lang in Arresthaft gehalten – trotz des Angebots einer sehr hohen Kautionssumme für seine Freilassung und trotz zum Teil massiven politischen und wirtschaftlichen Drucks Chiles gegen Großbritannien.

In einem ersten Verfahren vor einem britischen Gericht hatten die Richter Anfang November ihre Ablehnung einer Auslieferung mit einer zumindest fragwürdigen Interpretation der Wiener Konvention von 1961 begründet. Diese Konvention regelt die Immunität, die Diplomaten, Staatschefs oder Regierungsmitglieder eines Landes im Ausland genießen. Die Konvention schließt nicht – zumindest nicht mit der wünschenswerten juristischen Klarheit – ausdrücklich aus, daß auch ehemalige Staatschefs das Privileg der Immunität genießen können.

Nach der Etablierung des Internationalen Strafgerichtshofes (ICC) durch Ratifizierung seines im Sommer beschlossenen Statuts durch mindestens 60 Staaten wird es diese Lücke im Völkerrecht nicht länger geben. Das Statut schließt für die Pinochet zur Last gelegten Verbrechen jegliche Immunität oder Verjährung aus. Bernd Pickert, Andreas Zumach