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Meilenstiefel im Stillstand

Von der südafrikanischen Gegenwart überholt: Ngemas „Asinamali!“ auf Kampnagel  ■ Von Christiane Kühl

an sollte meinen, Bhoyi Ngema sei ein vorbildlicher Bürger. Er ist Straßenfeger, und das auf freiwilliger Basis, ohne staatliche Entlohnung. Nun aber ist Straßenfeger nicht Straßenfeger. Bhoyis Säuberungen in Lamontville-Township lassen Infor-manten verschwinden, Spione der südafrikanischen Regierung, deren dreckige Mäuler Daten und Namen kolportieren, von denen sie besser schweigen sollten. Bhoyi und seine Freunde bringen sie zum schweigen. Deswegen wird er für die Arbeit auch nicht bezahlt, sondern muß zahlen: Seit einiger Zeit verbringt er seine Tage nicht mehr auf der Straßen bei Durban, sondern im Leeuwkop-Gefängnis bei Johannisburg.

Asinamali!, ein Musiktheaterstück von Mbongeni Ngema, erzählt die Geschichte von fünf inhaftierten Südafrikanern. Entstanden und angesiedelt Anfang der Achtziger, steht Bhoyi, Aktivist um die Gruppe von Msizi Dube, im Mittelpunkt. Dube war Anführer einer Bewegung in Lamontville, die sich radikal gegen die Erhöhung der Mieten im Township wehrte: „Asinamali!“, „Wir haben kein Geld!“ war ihr Schlachtruf, der die Lebensbedingungen der Schwarzen im ganzen Land auf den Punkt brachte. Dube wurde von der Polizei erschossen und so konnten die Aufständischen einen traurig-heroischen Märtyrertod auf ihrer Seite verbuchen.

Daß Res Bosshart Ngemas Stück von 1983, das seitdem in der Originalbesetzung tourt, nach 15 Jahren nach Hamburg einlädt, zeichnet ihn nicht gerade mit einer Spürnase für aktuelle Tendenzen aus. Ein späteres Musical Ngemas, Sarafina!, gastierte bereits vor neun Jahren mit durchschlagendem Erfolg beim Theater der Welt in Hamburg, und die Vusisizwe Players sowie die Earth Players vom Johannesburger Market Theater, die sehr ähnliches politisches Musiktheater machen, waren bereits 1987 beim Sommertheater Festival zu recht umjubelte Gäste. So gelungen die Verbindung von Text und Musik, Politik und Unterhaltung, ernster Botschaft, Humor und Swing auch bei Asinamali! ist – am Ende des Jahrzehnts, das Südafrika so radikal verändert hat, daß seine Bewohner sich auf ihren Staat nur noch als „New South Africa“ beziehen, möchte man gerne auch ein neues Theater sehen. Wo die politische und gesellschaftliche Entwicklung mit Siebenmeilenstiefeln läuft, darf die Kunst nicht stehenbleiben.

Bhoyi erzählt seine Geschichte den anderen Häftlingen, die die jeweils ihre beisteuern. Thami hatte Sex mit einer Weißen, was gegen die „immorality act“ verstieß, Bongani brachte einer seiner Frauen um, nachdem diese ihr Baby aus Angst, es nicht ernähren zu können, im Klo ertränkte. Die Erzählperspektive wandert von Erinnerungen zu gespielten Vergegenwärtigungen, wobei die Schauspieler in Sekunden Rollen wechseln, von Englisch zu Zulu zu Afrikaans springen, mal einander, mal das Publikum adressieren. Choreographierte Alltagsbewegungen werden zum Rhythmus, der zum Gesang leitet. Die Schauspieler lassen ohne jegliche Requisten aus purer, ansteckender Energie verschiedene kleine Welten entstehen – aber die Frage bleibt, was eigentlich in der großen Welt heute so vor sich geht.

bis 13. Dezember (außer Mo/Di), 20 Uhr, Kampnagel k6

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