Lurexsex mit Helga und Bernd Von Reinhard Krause

Aufreizend unauffällig stand er da: ein Schuhkarton im allerobersten Fach des elterlichen Korridorschranks. Und natürlich fanden wir bald eine Gelegenheit, ihn mit Hilfe einer Trittleiter aus seinem Versteck zu befördern. Volltreffer: Wir hatten das Erotikkistchen unserer Eltern entdeckt!

Welterschütternd allerdings war der Inhalt selbst für uns Kinder nicht: ein paar Versandprospekte aus dem Hause Beate Uhse und einige ominöse Päckchen mit einem wabbeligen Gummiring darin. Sowie ein Buch mit dem Titel „Helga und Bernd zeigen 100 Liebespositionen“ – der absolute Tiefpunkt. Was nämlich Helga und Bernd auf hundert Schwarzweißfotos auch immer taten, sie taten es in hautengen, glitzerigen Lurextrikots.

Ob die Eltern uns veräppeln wollten? Ein doofes Buch für Zehnjährige – doch welch ein Geschenkjuwel für moderne Erwachsene! Groß war also meine Freude, als ich neulich in einem wunderbar unaufgeräumten Antiquariat wieder auf „Helga und Bernd“ stieß: das ideale Geschenk für meinen Bruder. Für nur fünf Mark kann ich nun bis Weihnachten vage Kindheitserinnerungen auffrischen, endlich ohne Heimlichkeit Helga und Bernd bei ihrem absurden Treiben studieren und auf deutsch, englisch, französisch und natürlich schwedisch (!) nachlesen, was es mit der jeweiligen Turnerei auf sich hat. „Sittan kvinnan bakläges, utför hon ,ridrörelser‘ med hela kroppen.“ Also wirklich!

„Nur Menschen“, lautet das Credo des Autors, „können ihre Sexualität ohne Einschränkung auf Brunstzeiten bis ins hohe Alter hinein ständig erleben.“ Gewiß, nicht jede der vorgeführten einhundert Positionen kann als originell oder gar innovativ durchgehen, dafür spielt so manche Übung ins Groteske und mitunter regelrecht Unglückliche. Auch einige der Übersetzungen könnten Irritationen auslösen. Zu der überaus plauderigen Position 78 etwa („kurzbeinige oder korpulente Frauen werden diese Haltung allerdings nicht einnehmen können“) heißt es ohne Umschweife: „Beim Anheben beider Beine ist die Gefahr des Herausgleitens zu groß.“ Während schwedische Leser über eine „faran för en utglidning“ informiert werden, ergeht an nachahmungswillige Franzosen eine Warnung vor den „dangers de la rejetée“. Engländern droht gar „the risk of losing the penis“. Die Gefahren der Zurückgewiesenen? Penisverlust?

Heiterer sind die sogenannten „Pausenstellungen“ (90f), die in ihrer geradezu bukolischen Anmut etwas von improvisierten Gartenmöbeln haben und – ähnlich vollständige Bekleidung vorausgesetzt – selbst bei langatmigen Barbecuefeiern oder auf Autobahnrastplätzen nur zustimmende Blicke provozieren dürften.

Selbst eine Position wie Nummer 84, die vorsorglich als „sehr extrem“ ausgewiesen wird und bei der sich Helga und Bernd gegenseitig bei den lurexbestrumpften Füßen fassen, verströmt allenfalls die Aura des Vergeblichen. Dunkel erinnere ich mich, in ähnlicher Formation als Kind irgendwelche Böschungen hinuntergekollert zu sein. In einer dieser munteren Positionen an love, l'amour oder kärlek zu denken dürfte selbst Profis wie Bernd und der auf sinnlich geschminkten Helga schwerfallen. Aber zählt nicht Kichern sowieso zum Schönsten, was man zu zweit im Bett tun kann?