Handreichungen für einen einkaufsfreien Tag

■ Kauf-nix leichtgemacht: Wie machen Sie das Beste aus dem heutigen Tag? Was kann man tun, ohne einen Pfennig auszugeben? Suchen Sie sich den Typ aus, der zu Ihnen paßt, und alles wird wunderbar!

Der heutige erste Kauf-Nix-Tag in Deutschland bietet auch Ihnen eine Gelegenheit zu neuer Selbsterfahrung. Doch erst ist zu klären: Welcher Kauf-Nix-Typ sind Sie?

Vielleicht wollen Sie sich heute mal als heimlicher Schnorrer ausleben. Sie streunen durch die Musikmärkte mit dem Ziel, möglichst viele neue CDs (Beck! Faceless!) durchzuhören und selbstverständlich nichts zu kaufen. Falls das Personal nach der sechsten CD genervt guckt, machen Sie ein skeptisches Musikkritikergesicht. Heute ist ein guter Tag, auch mal endlich die Buchläden Ihrer Stadt nach bequemen Lesesesseln zu durchkämmen. Zur Mittagspause gehen Sie heute (nur heute!) in eine Suppenküche für Obdachlose und formen aus Ihren dortigen Erlebnissen ein Romanfragment. Im übrigen wäre heute der Tag, mal unter „Verschenke“ in der aktuellen Secondhandzeitung nachzuschlagen. In Berlin wird da beispielsweise „Erdaushub, schöner märk. Sand“ angeboten, oder „Erntefrischer Kürbis, ökologischer Anbau, nur an Privat!“ und „Plattenspieler, hochwertig, Pioneer, Philips, Kabel leider vom Hund durchgebissen“.

Auch als Flaneur sind Sie heute in Ihrem Element. Stellen Sie sich einfach vor, Sie sind Tourist in Ihrer eigenen Stadt. Einer von denen, die stundenlang wie in Trance herumlaufen, in jede Kirche schauen und sich mit einer Stange Weißbrot auf den belebtesten Platz setzen, um die unterschiedliche Mentalität der Leute zu studieren. Was damals im Alter von 16 Jahren in Rom funktionierte, kann heute am Kauf-Nix-Tag auch zu Hause nicht falsch sein. Waren Sie überhaupt schon mal in Ihrer Nachbarkirche? Und dann, sollten Sie Berliner sein, wie wär's mit dem Studium der Mentalitätsunterschiede zwischen den Hundeausführerinnen im Lietzenseepark, den Türken-Gangs in Neukölln und Vorruheständlern in Friedrichshain! Rom war nix dagegen!

Fast sind Sie damit schon ein Bildungsmensch. Morgens in die örtliche Leihbibliothek und erst mal die vorhandenen ausländischen Zeitschriften studieren, abends dann auf eine der Vernissagen (Sekt!), die in der örtlichen Programmzeitschrift stehen, und dann auf eine Lesung. Je unbekannter der Autor, desto umsonster. In Berlin liest heute Georg Klein im Buchladen Bayerischer Platz aus seinem Agentenroman: „Libidissi“. Möglicherweise ist der Mann eine „neue Entdeckung“, heißt es beim Veranstalter.

Vielleicht sind Sie aber kein Bildungsmensch, sondern Ausleiherin. Die Kultur des Ausleihens ist in Deutschland verkümmert, woran jene Individuen schuld sind, die ausgeborgte Bücher mit Geschenken verwechseln. Richtiges Ausleihen aber ist eine Kunst. Was können Sie sich von wem ausborgen? Lebensmittel nur bei älteren Nachbarinnen, die sich noch an Notzeiten erinnern. Männer verleihen an Männer immer Bohrmaschinen, heute wäre eine gute Gelegenheit, ein paar Renovierungsarbeiten anzupacken. Ihre beste Freundin borgt Ihnen ihren Lurex- Pulli, aber nur, wenn Sie ein Mädchen und nicht älter als 17 sind.

Und wenn Sie sich heute als Grenzgängerin erproben wollen, treiben Sie das alte Spiel pubertierender Mädchen: Heute will ich drei Menschen ansprechen und kennenlernen, ganz umsonst. Das ist aufregender als Einkaufen. Barbara Dribbusch