Stein gewordener Größenwahn

Mit krimineller Energie ließ der rumänische Diktator Ceausescu seinen Regierungspalast errichten. Das „Haus des Volkes“ ist heute Sitz des Parlaments und vielseitiger Veranstaltungsort  ■ Von Wolfgang Gast

Der Raum ist riesig: neunzehn Meter hoch und lang wie ein Fußballfeld. Auf einer Stirnseite wurde ein Balkon gebaut. Der große Kondukator liebte es, sich beim Aktenstudium von einer Kapelle begleiten zu lassen. Ein größeres Büro als das von Nicolae Ceausescu hat wohl niemand je besessen. Wir sind in Bukarest, im heutigen Palast des Parlamentes, der bis zum Sturz der Diktatur „Casa Popurului“, Haus des Volkes, hieß.

Der Bau ist ein einziger Superlativ. Mit 330.000 Quadratmetern ist er flächenmäßig nach dem Pentagon in den USA das größte Gebäude auf der Welt. Er überragt die Pyramide von Cheops um zwei Prozent, und mit 2.550.000 Kubikmetern konkurriert sein Volumen mit dem Inhalt der Pyramide von Quetzalcoatl in Mexico.

Es ist in Stein gegossener Größenwahn: 550.000 Tonnen Zement und zwei Millionen Tonnen Sand wurden verbaut. 700.000 Tonnen Stahl ließ der Diktator herbeischaffen, und für die Holzarbeiten wurden 900.000 Kubikmeter Rosen-, Eichen- und Nußholz geschlagen. Das rumänische Volk hungerte in den achtziger Jahren. Wegen andauernden Energiemangels konnten die Menschen im Winter ihre Wohnungen nur selten auf die staatlich versprochene Mindesttemperatur von zwölf Grad Celsius heizen. Zur gleichen Zeit schuftete eine Armee von rund 20.000 Arbeitern in drei Schichten 24 Stunden am Tag. Sie verlegte eine Million Kubikmeter Marmor, pflasterte fünf Kilo Blattgold und dreieinhalb Tonnen diverser Kristalle an Decken und Wände, installierte 2.800 Kronleuchter und breitete 220.000 Quadratmeter Teppich aus.

Mit einer geradezu kriminellen Energie hatte Diktator Ceausescu die rund siebenhundert Architekten angetrieben. Er ließ in achtzig Metern Tiefe einen atombombensicheren Bunker – eine kreisförmige Jogging-Bahn inclusive – bauen, den eine eigene U-Bahn mit dem eine halbe Autostunde entfernten Flughafen verbinden sollte. Erlebt hat Ceausescu die Fertigstellung der Bahn nicht. Als ihn im Dezember 1989 die Revolution aus dem Amt fegte, waren knapp siebzig Prozent aller Bauvorhaben verwirklicht: Der siebzig Meter hohe Palast mit seinen Seitenlängen von 270 und 240 Metern stand, neunhundert Räume waren gebaut.

Alle Würdenträger aus Partei und Bürokratie sollten in dem Riesenhaus ihren Arbeitsplatz finden. Den Prachtboulevard, der auf das Haus des Volkes zuführt und den Namen „Sieg des Sozialismus“ auf immer tragen sollte, säumen komfortable Neubauten. Dort sollte die Politbürokratie wohnen. In Bukarest, das sich gerne wie auch Budapest als „Paris des Ostens“ bezeichnet, ließ Ceausescu den Boulevard den Champs-Elysées nachempfinden – nur einen Meter länger und einen Meter breiter als das Vorbild mußte er schon sein. Für den Palast und die Prachtstraße ließ der Erste unter Gleichen ganze Stadtviertel mit eleganten Häusern aus dem neunzehnten Jahrhundert, historischen Kirchen und Parkanlagen einreißen.

Rund zehn Prozent der Räume werden in dem Haus des Volkes genutzt. Der 685 Quadratmeter große einstige Sitzungssaal des Zentralkomitees beherbergt heute einen Menschenrechtsgerichtshof. Parlamentssitzungen finden statt, internationale Konferenzen und Modenschauen werden in den kunstüberladenen Räumen abgehalten. Im Rahmen der Nahost-Friedensverhandlung trafen sich hier Israels früherer Ministerpräsident Schimon Peres und der Palästinenserführer Jassir Arafat. Bei einer Tagesmiete zwischen ein- und zehntausend Dollar sind neue Veranstalter gern gesehene Gäste.

Wolfgang Gast, 40, lebt als freier Autor in Berlin. Er war von 1988 bis 1996 Inlandsredakteur der taz. Seine Schwerpunkte sind Innere Sicherheit und RAF