Geschlagene Wälder

Die Westkarpaten – für viele verbindet sich mit dem Begriff die Vorstellung von nebelverhangenen Wäldern, wo sich Wölfe und Bären gute Nacht sagen. Doch die dunklen Wälder lichten sich  ■ Von Stephan Drube

Die Wolken verziehen sich im Tal. Ich wandere zur höchsten Erhebung der Westkarpaten. Es ist ein traumhafter Weg über den Tälern, anfangs noch etwas schmierig vom Regen der vergangenen Nacht. Ich genieße den Ausblick. Nach vier Stunden Wanderung kommt Gewitterstimmung auf. Ich flüchte mich zu dem höchstgelegenen Bergbauernhof dieser Gegend: Piatra Gráitoare. Bihor sowie Gàina liegen zusammen mit dem Ariesch-Tal vor mir, dazwischen noch die Kuppen mit den kleinen Höfen.

Ich befinde mich in einem Seitental des Ariesch in den Westkarpaten. Die Westkarpaten bilden den Gebirgsstock zwischen Arad, Oradea (Großwardein), Alba Iulia (Weißenburg) und Cluj (Klausenburg). Ein Hügelland, vornehmlich mit Viehweiden und Mischwäldern. Über eine holprige und morastige Forststraße komme ich auf die Höhe einer Streusiedlung aus dreißig Häusern und einem kleinen Laden in welliger Landschaft. Viehweiden zwischen Buchenwald, die ersten Tannen.

Seit meinem letzten Besuch 1993 hat sich etwas verändert: Gelbe Ränder ziehen sich die Wege entlang, abwechselnd mit bräunlichen Sägeabschnitten. Auch die Täler sind voll davon. Sägespäne in den Flüssen, auf den Wiesen, an den Wegrändern, teils angesteckt, kokelnd, teils goldgelb leuchtend. Kreissägen bringen dem Ort etwas Wohlstand. Die Bergrücken und Täler sind voller Holzverarbeitungsmaschinen. „Uns geht es recht gut hier“, sagt ein Dorfbewohner. Man könne leicht fünf bis sechs Millionen Lei – 1.250 bis 1.500 Mark – im Monat verdienen. „Wir können nicht klagen. Schauen Sie, allein 24 Autos gibt es bei uns. Sie wissen, welchen Wert die heute darstellen.“ In vielen Seitentälern des Ariesch kam der Strom erst mit der Wende, angeblich durch ein amerikanisches Förderprogramm.

Holzeinschlag und Verarbeitung war bis Anfang der Neunziger striktes Staatsmonopol. Dann wurde reprivatisiert. Heute ist es die einzige Verdienstmöglichkeit. Es gibt keine Industrie, der Boden taugt nur für Viehwirtschaft oder Kartoffeln, und von der Landwirtschaft kann man bei den niedrigen Preisen sowieso nicht mehr leben. Ans Aufforsten der geschlagenen Wälder denkt jedoch niemand.

Ein dreißigjähriger Müllerssohn zerschneidet gerade den Hektarbesitz seiner Vorfahren und verkauft ihn für fünfundsiebzig bis neunzig Mark pro Kubikmeter; das ist selbst für Rumänien günstig. „Das Aufforsten ist kein Problem, das geht von ganz allein durch Samen“, meint er. Die Wälder lichten sich. Holz wird gefällt, gesägt und verläßt, als privat deklariert, in meist geschlossenen Last- und Lieferwagen die Westkarpaten.

Am Straßenrand stehen Lehrer, Geistliche, Studenten, Arbeiter, Polizisten. Alle wollen mitgenommen werden. Ein eigener Dacia, der rumänische Renault-12-Nachbau aus den siebziger Jahren, bleibt für die meisten mit einem Preis von fünf- bis sechstausend Mark unerschwinglich. Der Geländewagen ARO mit zehn- bis siebzehntausend Mark erst recht. Auch die öffentlichen Transportmittel haben sich verteuert. Doch dort hat man immerhin die Gelegenheit, sich zu unterhalten; meist bleibt es allerdings bei unterschiedlichen Varianten des früher: gut, heute: schlecht. „So viel Holz wie in den letzten vier Jahren hat man selbst unter Ceausescu nicht geschlagen“, sagen die einen. „Nein, damals wurden ganze Hänge abgeholzt, jetzt dünnt man nur aus, das ist viel schonender“, sagen die anderen.

„Entschuldigen Sie bitte“, murmelt der Kraftfahrer, den ich zusammen mit zwei weiteren Männern von der Stadt aus in meinem Auto auf die Dörfer mitnehme. „Ich habe auf dem Markt für meine Familie eingekauft und besitze nicht mal mehr fünfhundert Lei.“ Das sind siebzehn Pfennige. „Die hatte mir schon die Verkäuferin nachgelassen, als ich zuwenig Geld bei mir hatte.“ Dem Mann ist es peinlich, daß er nichts, wie sonst üblich, für die Fahrt bezahlen kann. Er gehört zu denen, die nichts am Holz verdienen und nicht mehr wie die Jungen in die Stadt abwandern kann.

Info: Centrul de resurse pentru turism Brasov str. Harmanului 50 ap. 122200 Brasov sowie Albamont, str, VÛnatorilor 26, bl. V 12, ap. 10, 2500 Alba Iulia bzw. Eceat-Germany, c/o. Grüne Liga, Postfach 010143, 19002 Schwerin, Fon & Fax: (0385) 581 16 48

Stephan Drube lebt als freier Autor in Berlin. Seine Schwerpunkte sind Osteuropa und Rumänien

Eine Bahnstrecke verbindet CÛmpeni mit Turda im Osten. Diese Schmalspurlinie führt durch das Ariesch- Tal. Mit dem Bus oder Auto fährt man von Oradea, Deva, Alba Iulia sowie Cluj über Turda in die Westkarpaten. Hotels sind meist überteuert und schlecht. Besser sind Privatquartiere. In Arieseni, Albac, GÛrda, Lupsa, Posaga, Salciua, Rimetea wird Urlaub auf dem Bauernhof angeboten.