Einfach wegschließen

Tonndorf vor dem „Dabelstein“-Mordprozeß am Montag: Viele hoffen auf hohe Strafen  ■ Von Elke Spanner

Das Metallschild mit der Aufschrift „Inh. Willy Dabelstein“ hängt noch an der Ladentür. Vor dem ehemaligen Schaufenster sind Jalousien runtergelassen, der Eingang ist von innen mit einer schwarzen Folie verklebt. Von außen hat jemand ein A4-Blatt aufgehängt: „Kater entlaufen“. Noch niemand hat einen der Abreißzettel mit der Telefonnummer mitgenommen: Hier kommt keine Kundschaft mehr vorbei. Das Feinkostgeschäft ist geschlossen, seit der Inhaber Willy Dabelstein im Juni von zwei Jugendlichen bei einem Raubüberfall erstochen wurde.

Plötzlich wird die Tür von innen geöffnet. Frau Dabelstein, eine kleine Frau im olivgrünen Parka, guckt erschrocken raus, sagt ungefragt „kein Kommentar, kein Kommentar“ und schließt die Tür.

Daß am Montag der Prozeß gegen die beiden 16jährigen eröffnet wird, die ihren Mann erstochen haben sollen, ist in Tonndorf wohlbekannt. „Ich habe sogar überlegt, da hinzugehen“, sagt der 21jährige Christian. „Um mir die mal anzusehen.“

Als er hört, daß die Verhandlung nicht öffentlich sein wird, zuckt er gleichgültig mit den Schultern. Vielleicht sei das auch besser, denkt er laut. „Wer weiß, was da passiert, wenn Angehörigen und Freunde von Dabelstein die sehen.“

In der kleinen Bäckerei an einer der Hauptverkehrsachsen, die durch Tonndorf führen, herrscht reges Kommen und Gehen. Jeder wird mit Namen begrüßt. Annemarie R. zieht eine Laugenstange für „Herrn Karl“ aus dem Brotkorb hervor. Wie der Laden am Mittwoch laufen soll, wenn sie als Zeugin vor Gericht aussagen wird, weiß sie noch nicht. „Wir sind doch selbständig und können nicht einfach zumachen.“

Eine Viertelstunde vor dem Mord hat Annemarie R. die beiden Jugendlichen noch gesehen. Da waren sie bei ihr in der Bäckerei, und „ich dachte gleich, die führen was im Schilde“. Wenn man 40 Jahre im Geschäft steht, dann „hat man so was im Gefühl“, ist sie überzeugt. Sie rückt die Bild, Bild der Frau und Auto-Bild auf dem Verkaufs-tresen zurecht. Natürlich hat sie nicht „an so was“ gedacht, sagt sie. Dann deutet sie auf die Auslage vor dem Tresen: Schokolade, Marzipan, Kekse. Sie dachte, die beiden wollten Süßigkeiten klauen, „das kommt bei Schülern manchmal vor“. Deshalb habe sie sie nicht aus den Augen gelassen. Manchmal, erzählt Annemarie R., komme sie in einer solchen Situation auch hinter dem Verkaufstresen hervor, um die potentiellen Ladendiebe besser beobachten zu können. An jenem Sommertag im Juni hat sie das nicht getan, „glücklicherweise“. Denn wer weiß, setzt sie hinzu, was dann passiert wäre.

Oft kommt Frau Dabelstein bei ihr einkaufen: „Die kann einem so leid tun. Die Täter werden therapiert. An die Opfer denkt keiner.“

Auch der Polizeibeamte Pohl steht in regelmäßigem Kontakt zu Frau Dabelstein. Im Rahmen der Opferbetreuung besucht er sie zu Hause. Sie sei eine „richtig liebe, nette Oma“: gutmütig, und gläubig sei sie auch. Es habe „genau die Falsche getroffen“, sagt Pohl mitleidig, „genau die Falsche“.

Wer Willy Dabelstein kannte, hofft auf eine hohe Strafe für seine Mörder. Daß die beiden mutmaßlichen Täter, die vor Gericht stehen, Jugendliche sind, interessiert in Tonndorf nicht. Mit 16, ist Annemarie R. überzeugt, weiß man, was man tut. „Man kann nicht immer alles auf die Kindheit schieben. Was haben wir denn nach dem Krieg gehabt? Wir sind auch nicht alle kriminell geworden.“

Auch der 21jährige Frank hält nichts von einer Therapie für die Täter. Gelangweilt steht er mit seinem Freund Christian vor der Bäckerei, plaudert über dieses und jenes. Über den Mord reden sie auch noch manchmal, versichern die beiden. Christian hofft, daß „man die nicht nach Finnland schickt oder wo die Autoknacker immer hinkommen“. Die Täter sollte man lebenslang wegschließen, findet Frank, „sonst wär das nicht gerecht gegenüber den anderen“. Mit beiden Händen beschreibt er, wie er sich die Zukunft der mutmaßlichen Mörder vorstellt: Mit der rechten fährt er eine fiktive Linie entlang, das ist die Zufahrt, und hier, links, „haben sie dann ihr Gefängnisdorf“.