Ein Himmel voller Geigen und Flöten

Cha-Cha-Cha-Sounds, die das Wissen und die Erfahrung mehrerer Musikergenerationen beinhalten, und Einflüsse vor allem auf afrikanische Musiktraditionen: Das kubanische Orquesta Aragón spielt im Tränenpalast  ■ Von Katrin Wilke

„Quien sabe sabe“ heißt das aktuelle Album des Orquesta Aragón aus Kuba: Wer weiß, der weiß, und zwar, wovon er singt und was er spielt. Beim Orquesta Aragón wird seit sechzig Jahren musikalisches Wissen weitergegeben; Musik wird hier nicht nur um der Musik willen gespielt, sie beinhaltet auch eine mehrere Generationen umspannende Lebenserfahrung.

Gegründet wurde das zwölfköpfige Orchester 1939 von dem Zahnarzt und Geigenspieler Orestes Aragón Cantero. Weil er leidenschaftlich gerne Geige spielte, vom Alleinspielen aber die Schnauze voll hatte, scharte er in seiner Heimatstadt Cienfuegos nach und nach Perkussionisten und Sänger um sich, Flötisten und Gitarristen, natürlich auch weitere Geigenspieler, und fertig war irgendwann die klassische Charanga-Konstellation: ein Himmel voller Geigen und Flötentöne, bar aller Blechblasinstrumente – goldrichtiger Klangrahmen für den Cha-Cha-Cha.

Mit dieser etwas gemächlicheren Mambo-Variante hatte einst der Violinist Enrique Jorrin nicht nur den Grundstein für die kubanische Tanzmusik gelegt, sondern auch für das Repertoire des Orquestra Aragón. Dies umfaßt heutzutage mehr als 700 Stücke – darunter neben all den guten alten Guarachas, Sones, Danzones und Boleros auch zahllose Cha-Cha- Cha-Mixturen wie Mambo-, Swing- und Samba-Cha. Die Leitung des Ensembles übernahm Rafael Lay Bravo (v/voc) 1982 von seinem ebenfalls Geige spielenden Vater, Rafael Lay Apezteguia. Nach seinem Start als dreizehnjähriges Wunderkind bei den Ur-Aragonés hatte dieser wiederum 1948 den ersten Orchesterdirektor abgelöst. Doch die Musik des Orquesta Aragón ist nicht nur voller Erfahrung und weiser alter Geschichten, sie ist auch Meßgerät für Gemütszustände. Und sie diente nicht nur in Kuba dem Abbau von Frust: zu Zeiten des Kalten Krieges vor allem in Osteuropa und auf dem afrikanischen Kontinent, den das Orquesta Aragón seit den Siebzigern musikalisch nahezu vollständig unterspülte. Gerade ein bewegter und bewegender Rhythmus wie der Cha-Cha-Cha hatte in Ländern wie Mali, Guinea, Ghana und Benin leichtes Spiel und ein nachhaltiges noch dazu: Mit den Pioniertaten der Charanga-Formation kam nämlich die „Relatinisierung“ afrikanischer Musiktraditionen in Gang. Zu den durch lateinamerikanische bzw. karibische Klänge Infizierten zählt heutzutage eine Band wie Africando aus dem Senegal.

Und um dem Hin und Her zwischen den beiden Musikkulturen noch eins draufzusetzen: Im aktuellen Repertoire des Orquesta Aragón stößt man auf den senegalesischen Song „Yaye Boy“, der von den Kubanern in eine überaus schmissige Guaracha-Form gegossen wird. Und zudem noch textlich so dechiffriert ist, daß er von den Sängern Ernesto Bacallao und Juan Carlos Villegas doch tatsächlich in halbwegs authentischem Wolof vorgetragen werden kann.

Überhaupt scheinen die Burschen sowohl musikalisch als auch textlich keinerlei Berührungsängste zu kennen: schon gar nicht mit dem, was wir romantikscheuen Mitteleuropäer gerne als Klischees abtun. Die Charanga-Kultur der Flötentöne und süßen Gesänge dürfte mit dem Orquesta Aragón viel musikalische Leichtigkeit auch ins 21. Jahrhundert transportieren können. Diese Leichtigkeit wird mitsamt Charme und Können der Band sicher auch in Berlin ihre Wirkung nicht verfehlen.

Heute abend ab 20 Uhr im Tränenpalast, Reichstagufer 17, Mitte