„Man hätte das Verfahren auch einstellen können“

■ Der Freiburger Völkerstrafrechtler Kai Ambos sieht keine politische Chance für die geforderte Einrichtung eines internationalen Gerichts zur Aburteilung von PKK-Chef Abdullah Öcalan

taz: Es ist der Vorschlag geäußert worden, Abdullah Öcalan vor ein internationales Gericht zu stellen. Ist das denkbar?

Kai Ambos: Nein, denn es gibt derzeit kein internationales Gericht, das Öcalan aburteilen könnte. Der gerade gegründete Internationale Strafgerichtshof von Rom wird erst in Kraft treten, nachdem mindestens 60 Staaten ihn ratifiziert haben, also erst so in etwa sieben bis acht Jahren. Dazu kommt, daß der Gerichtshof nur Taten ermitteln kann, die ab seiner Inkraftsetzung passieren – selbst wenn er heute gegründet würde, wäre er also nicht zuständig, weil er nicht rückwirkend ermitteln kann.

Nun haben der italienische Ministerpräsident Massimo D'Alema und Bundesinnenminister Otto Schily vorgeschlagen, ein internationales Tribunal zu gründen, um Öcalan abzuurteilen. Ist das eine realistische Möglichkeit?

Theoretisch wäre es denkbar, daß der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen unter Berufung auf Kapitel 7 der UN-Satzung ein Ad- hoc-Tribunal gründet, genauso wie im Fall des ehemaligen Jugoslawiens und Ruandas. Aber das setzt voraus, daß eine Bedrohung des internationalen Friedens gegeben ist. Dieser Begriff kann zwar weit ausgelegt werden, wäre aber wahrscheinlich doch in diesem Fall recht schwierig zu begründen. Man müßte argumentieren, daß durch den Konflikt der PKK mit der Türkei eine regionale Friedensbedrohung vorliegt und daß die Verurteilung Öcalans diesen Konflikt lösen könnte. Dafür spricht aber nichts.

Selbst wenn: Müßte sich nicht ein solches Tribunal dann mit der Aufarbeitung des ganzen Konflikts in Kurdistan beschäftigen?

Richtig. Das ist eigentlich sogar der zentrale Punkt, weil es ja in Kapitel 7 um Situationen der Friedensbedrohung geht. Es müßte dann der ganze Kurdenkonflikt in der Türkei zu einem justitiablen Bereich erklärt werden, und dann müßten natürlich die Völkerrechtsverletzungen nicht nur der PKK, sondern auch die der türkischen Armee untersucht werden.

Dem würde die Türkei niemals zustimmen.

Die Türkei hat ja nicht einmal in Rom für den Internationalen Strafgerichtshof gestimmt. Die Türkei war einer der Staaten, die auf der Konferenz eine sehr negative Rolle gespielt haben.

Deutschland hat keinen Auslieferungsantrag gestellt und begründet das mit Angst vor Unruhe und Anschlägen in Deutschland.

Es ist vor allem ein ganz klares Eingeständnis, daß die öffentliche Sicherheit nicht zu garantieren ist, wenn Öcalan hier vor Gericht steht. Das kann man sogar politisch diskutieren – aber es ist natürlich inkonsequent. Man hätte das Verfahren dann eigentlich auch gleich einstellen können. Es gibt ja im Strafrecht einen Passus, der es ermöglicht, Verfahren aus Gründen der Gefährdung öffentlicher Sicherheit und Ordnung, aus nationalem Interesse, einzustellen. Damit hätte man viel Geld sparen können.

Warum ist das nicht passiert?

Es ist ja kein Geheimnis, daß es zwischen Generalbundesanwaltschaft und dieser Regierung massive Spannungen gibt. Die Bundesanwaltschaft will natürlich, nach dem Grundsatz der Verfolgungspflicht, die Sache durchziehen.

Kai Ambos ist wissenschaftlicher Referent am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg