: Basteln mit Hochschulabschluß
■ Wer im Kunsthandwerk überleben will, muß streng auf Niveau achten – so wie die MacherInnen in der Koppel, einem „Haus für Kunst & Handwerk“ in St. Georg
„Früher war Kunsthandwerk oft eine Sache von Hausfrauen, wenn die Kinder aus dem Haus waren“, erinnert sich Verena Wriedt. „Da herrschte dann große Freude über das selbstbemalte Tuch.“ Heute betreiben alle 20 KünstlerInnen in der Koppel in St. Georg ihr Gewerbe hauptamtlich – viele mit einem Kunsthochschulabschluß in der Tasche. Um das Niveau zu sichern, entscheidet ein Beirat mit VertreterInnen des Museums für Kunst und Gewerbe, der Kultur- und der Stadtentwicklungsbehörde über jede Neuvermietung.
Schon bei Gründung des „Hauses für Kunst & Handwerk“, wie die Koppel offiziell heißt, 1981 trennten diese Sachverständigen die Spreu vom Weizen unter den KünstlerInnen, die in der ehemaligen, jetzt im Besitz der Stadt befindlichen Maschinenfabrik Quartier beziehen wollten. „Das Problem ist allerdings, daß sehr gute Künstler kein Bedarf an einem gemeisamen Haus haben“, erläutert Wriedt, die von Anfang an mit ihrer Werkstatt für Holz-Design dabei war. Sie hält auch das gute Gemeinschaftsgefühl in der Koppel – und in St. Georg.
Denn von Anfang an war das Projekt auch als ein Baustein der Stadtentwicklung im Brennpunkt-Viertel gedacht. Die Stadt unterstützt es mit günstigen Mieten von rund 12 Mark pro Quadratmeter. Das Einbeziehen der BewohnerInnen äußere sich allerdings eher im Klönschnack mit dem türkischen Gemüsehändler als im Kauf-Kontakt, räumt Wriedt ein. Der Obdachlose, der sich jeden Nachmittag im Haus aufwärmt und bei kleineren Arbeiten hilft, bekommt Kaffee und Kuchen. Aber einen Hut für 250 Mark können sich nur wenige Menschen aus St. Georg leisten.
Die Rezession bekommen die Schmuck- und Textil-DesignerInnen, Fotografen, Hut- und Schuhmacherinnen der Koppel dennoch nur bedingt zu spüren. „Die soziale Schere ist zwar größer geworden“, weiß Wriedt, „aber es gibt ja immer noch Leute, die viel Geld haben.“ Diese müsse man eben erreichen. Dazu genügt es allerdings nicht mehr, „die Sachen einfach hinzustellen“, betont Athina Chadzis, die die diesjährige Adventsmesse für das Haus organisiert, „Self-Marketing ist heute für die Künstler selbstverständlich“.
Und auch im Kunsthandwerk geht vieles leichter mit den richtigen Verbindungen – gerade für Neulinge. Um die weiblichen unter ihnen kümmert sich die „Gemeinschaft Deutscher und Österreichischer Künstlerinnenvereine aller Kunstgattungen“ (Gedok), deren Hamburger Gruppe im Erdgeschoß der Koppel logiert. Ihr Ziel ist noch dasselbe wie bei ihrer Gründung 1926: „ganz schlicht Frauenförderung“, erläutert die erste Vorsitzende Rita Wildegans. „Frauen sind nach wie vor unterrepräsentiert in der Kunst.“ Die 4500 Mitglieder starke Organisation vermittelt Ausstellungsmöglichkeiten und vergibt diverse Preise. Auch die Gedok dringt auf Niveau: Von den rund 25 Frauen, die sich zu den Aufnahmeterminen dreimal im Jahr bewerben, werden in der Regel nur ein oder zwei akzeptiert.
Doch wer gut ist, kann es – männlich oder weiblich – auch heute schaffen. „Vielleicht sorgt ja die neue Regierung für Entspannung in der Börse“, hofft Nils Jockel, Ausstellungskoordinator des Museums für Kunst und Gewerbe, der am Freitag die Adventsmesse eröffnete und den Förderpreis der Koppel überreichte. Die Jury mit VertreterInnen aus Wissenschaft, Praxis und Medien brauchte in diesem Jahr ganze fünf Minuten, um aus den 38 AusstellerInnen aus dem ganzen Bundesgebiet, Frankreich, Belgien und Lettland die „Förderungswürdigste“zu ermitteln: Die Hamburgerin Karin Uphoff wurde für ihre Stoff-Leucht-Objekte mit dem mit 1000 Mark dotierten Preis ausgezeichnet. „Ihr Umgang mit Licht öffnet uns einen neuen Blick auf banale Materialien“, begründete Jockel. Für die Messe erhebt die Koppel den Anspruch, „für jeden Geldbeutel etwas zu bieten“ – vom Lesezeichen für zehn Mark bis zur Kette für über 1000 Mark.
Heike Dierbach
Die Adventsmesse ist freitags bis sonntags (11 bis 19 Uhr) geöffnet.
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