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„Jetzt guck dir mal die Tabelle an!“

■ Liegt es an Floridas Sonne? Jedenfalls ist Werder nach dem 4:1 gegen 1860 aus dem Keller

Oh wie schön ist Florida. Seitdem der Präsident, Herr Böhmert, dort weilt, gewinnt Werder ein Spiel nach dem anderen. Oh wie schön ist der zwölfte Tabellenplatz. man bekommt einen steifen Hals dabei, weil man es gar nicht mehr gewohnt ist, so weit nach oben zu sehen. „Guck dir mal die Tabelle an“, ruft Willi Lemke, der es auch nicht fassen kann. Und dann das tolle Torverhältnis: 22:22. Wenn jetzt noch in Mönchengladbach gewonnen wird – die Auswärtsspiele liegen ja bekanntlich den Bremern – ja dann geht's auf gen UEFA, wo das biblische Land liegt und das Geld in Strömen fließt.

Never change a winning team, gegen die Löwen begann Werder wie gegen Schalke, sehr defensiv. Man konnt es bereits an der Mannschaftsaufstellung ablesen. Entsprechend gestalteten sich die Ballkontakte auf dem warmen Rasen. Der Münchener Gerald Vanenburg durfte ihn 103mal berühren, Andreas herzog lediglich 61mal. das spiegelt exakt die Spielanteile wieder. Der Tabellendritte durfte und konnte sich im Mittelfeld austoben, abgesehen von der sechststen Spielminute. Freistoß herzog von links, die Münchner bekommen den Ball nicht weg, Eilts tickt ihn wieder in den Strafraum und Bode freistehend, nervenstark besorgt den Rest.

Was will man mehr. Jetzt, so dachte Werder-Trainer Felix Ma-gath, könne er endlich mal einen geruhsamen Nachmittag im Weserstadion verbringen, aber aus unerfindlichen Gründen zog sich die Mannschaft wieder zurück. Hatte sie Angst? Skripnik hatte sich in der 11. Minute verletzt. Für ihn kam Pavel Wojtala. Man mußte sich Sorgen machen. Wer konnte sich daran erinnern, wann Werder zum letzten Mal daheim gewonnen hatte? War es vor einem guten halben Jahr, im Mai gegen Bochum? Zum Glück hatte Werder-Torwart Rost einen guten Tag. Er wehrte sich gegen Kopfbälle von Hobsch und Stevic, er hielt einfach glänzend.

Nach vorne ging fast nichts. Sieht man einmal von Trares ab. Sein Gegenspieler Abderrahim Ouakili stoppte ihn mit einem groben Foul nah der Eckfahne, der schwache Schiedsrichter ließ weiterspielen, Ouakili hatte bereits die gelbe Karte, die Zuschauer tobten. Münchens Trainer Lorant erkannte das Problem, nahm ihn von der rechten Seite weg, beorderte ihn mehr nach vorne, wo es das Schicksal wollte, daß sich ausgerechnet dieser Ouakili auszeichnete. Gezwungener-maßen sozusagen machte er das 1:1 per Kopf. Pause.

In der ersten Viertelstunde der zweiten Halbzeit ließ sich Werder noch mehr einschnüren. Um Luft zu bekommen, brachte Magath Lody Roembiak für Wiedener und Harvard Flo für den auf sich allein gestellten, emsig rackernden Rade Bogdanivic, nach dem Motto: Lody flankt und der lange Harvard nickt ein. In Wirklichkeit kam es umgekehrt: Harvard flankte, Keeper Hofmann hielt den Ball nicht fest, Todt legte für Bode auf, und der machte abgeklärt das 2:1.

Aber auch die erneute Führung ließ bei den Kellerkindern keine Ruhe aufkommen. Sie sind es einfach nicht gewohnt, im Weserstadion zu führen. 21 weitere Minuten mußten wie in Zeitlupe vergehen, ehe der geistesgegenwärtige Bernhard Trares Stefan Malz den Ball wie beim Handball aus den Fängen riß, den Freistoß blitzschnell ausführte. Roembiak startete einen Alleingang mit souveränem Abschluß. Endlich wurde gespielt, endlich war jeder Komplex abgelegt. Lorant warf wütend Plastiksignalhütchen auf die Laufbahn, ließ aber sonst alles heile und gab hinterher zu, daß der Sieg auch in dieser Höhe verdient sei. Will sagen, 4:1, denn das Elfmetertor von Herzog hätten wir fast vergessen. Wieder war Bode beteiligt. Halb zog es ihn, halb sank er hin.

Oh wie schön ist Florida. Bleiben Sie doch noch, Herr Böhmert, bleiben Sie, wir schicken Ihnen auch gerne die Spielberichte von den Siegen gegen Gladbach und Stuttgart zu.

Klaus Johannes Thies

Der taz-Gastautor ist Schriftsteller. Zuletzt erschien von ihm bei Reclam Leipzig „Die Dunkelkammer unter dem Rock“.

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