■ Die Regierung will 100.000 Jugendlichen Jobs und Ausbildungsplätze beschaffen. Doch das rot-grüne Sofortprogramm ist zu bürokratisch
: Wie es anders gehen könnte

Die rot-grüne Koalition hat vor der Wahl und noch einmal im Koalitionsvertrag versprochen, daß jeder erwerbslose Jugendliche nach einem halben Jahr ein Ausbildungs- und Beschäftigungsangebot erhalten soll.

Ein couragiertes Angebot: Etwa 1,1 bis 1,3 Millionen Jugendliche zwischen 15 bis 25 Jahren haben keinen Ausbildungsplatz, leben von Sozialhilfe, sind erwerbslos, ziehen demütigende „Warteschleifen“, sitzen in Verwahr- und Strafanstalten oder sind obdachlos. Statistisch gibt es allein 428.000 arbeitslose Jugendliche, 460.000 jugendliche Sozialhilfeempfänger und 150.000 ohne Hauptschulabschluß oder ohne Ausbildungsplatz. Nehmen wir großzügig an, daß von über einer Million Jugendlichen tatsächlich nur 800.000 ein Ausbildungs- oder Arbeitsangebot annehmen möchten, dann hätte die rot-grüne Koalition ihr Versprechen um das Siebenfache unterboten. Denn ihr Mitte letzter Woche verabschiedetes Sofortprogramm soll gerade mal 100.000 Arbeits- und Ausbildungsplätze schaffen. Es ist deshalb ein bescheidener Anfang, setzt aber dem geradezu schamlosen Ausgrenzungsprozeß der jungen Generation keineswegs ein Ende.

Die Angebote, die das Sofortprogramm für ausbildungssuchende und erwerbslose Jugendliche enthält, sind überfällig. Die Reichweite des Programms aber bleibt weit hinter den Anstrengungen in Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden, Schweden und Dänemark zurück.

Vielleicht ist das Programm zu schnell aufs Papier geworfen worden, mancher Fehler wird in der Umsetzung noch korrigiert werden können. Aber es bleiben doch einige strukturelle Webfehler, weil es nur ungenügend auf die fundamentalen Umbrüche der Arbeitswelt eingeht.

Erstens hat seine Förderstruktur nur noch wenig mit den realen Arbeits- und Lebenswelten der Jugendlichen zu tun. Diese sehen es als Zumutung an, in Bildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen „vermaßnahmt“ zu werden, ohne Aussicht auf einen einigermaßen sinnvollen Arbeitsplatz. Die SPD – und die Bündnisgrünen? – sind nach wie vor auf den traditionellen Arbeitsmarkt fixiert, der aber kaum mehr Arbeitsplätze bietet. Öffentliche, halböffentliche, wohlfahrtsverbändliche, kirchliche und selbstorganisierte Bürgerarbeit spielt in der Wahrnehmung der Regierung jedoch keine Rolle. Das produziert eine marktwirtschaftliche Schieflage. Die Wachstumsbranche des dritten Sektors bleibt auch für die rot-grüne Regierung ein Buch mit sieben Siegeln.

Zweiten wird die Idee, die Bundesanstalt für Arbeit zum zentralen Akteur der Förderungsprogramme zu machen, in der Republik wohl vor allem Kopfschütteln auslösen. Bei allen Verdiensten der Bundesanstalt steht sie für eine noch immer hochbürokratische Förderstruktur, die zuweilen mehr zerstört als aufbaut.

Eine dezentralisierte, kleinteilige, für Jugendliche akzeptierbare Förderstruktur, die privaten Trägern, öffentlichen Einrichtungen und Welfare-Organisationen viel Verantwortung einräumt, ist jugendnäher als eine bürokratische Großorganisation. Im Kabinettsentwurf des Bundesarbeitsministeriums und des Bundesbildungsministeriums ist vorgesehen, daß Beamte des Arbeitsamtes mit „erfolgreichen Jugendlichen“ für das Sofortprogramm werben sollen. Allein diese Vorstellung zeugt von bürokratischer Ahnungslosigkeit ersten Ranges.

Drittens steht interessanterweise nichts über die Rolle des öffentlichen und halböffentlichen Dienstes im Sofortprogramm. Das ist ein Versäumnis, da hier besonders viel für die junge Generation getan werden könnte. Die Arbeit könnte solidarisch umverteilt werden, für junge Leute könnte ein Einstellungskorridor geschaffen werden, die Anzahl der Ausbildungsplätze könnte um zehn Prozent angehoben werden.

Schließlich steht die Finanzierung des Programms über ein Jahr hinaus auf tönernen Füßen. Die Haushaltsmittel aus der Bundesanstalt für Arbeit sind aus einer „Sonderkonstellation von weniger Ausgaben“ entstanden und die eigenen Mittel des Bundes bleiben unkonkret. Da viele Maßnahmen andere Maßnahmen verdoppeln und viele Jugendliche mehrere Förderungsprogramme durchlaufen, dürfte die Zahl von 100.000 Ausbildungs- und Arbeitsplätzen erheblich unterschritten werden.

Bürokratien lieben bürokratische Prozesse. Deshalb klingt der Grundton dieses Sofortprogrammes schief. Es handelt nur von Maßnahmen, zu denen Jugendliche eingeschleust, qualifiziert und verwaltet werden. Was die Jugendlichen selbst im Kopf haben, wie sie als Akteure ihrer eigenen beruflichen Zukunft handeln, das interessiert die Macher des Sofortprogramms nicht. In Berlin gibt es etwa 10.000 erwerbslose Jugendliche, die etwas Sinnvolles für die Stadt tun könnten, aber weder in eine Maßnahme passen noch mit traditioneller Erwerbsarbeit etwas am Hut haben. Jene, die sich von allem verabschieden, erreicht ein BfA-Angebot ohnehin nicht. Deshalb möchte ich zwei Vorschläge machen:

* Alle Jugendlichen bekommen bis zum 31. 12. einen Ausbildungsplatz. Zur Förderung erhält jeder Arbeitsplatzsuchende einen Ausbildungsscheck über 1.000 DM monatlich. Für 50.000 Lehrstellen wären 600 Millionen Mark aufzubringen.

* 300.000 junge Erwerbslose erhalten Arbeitsplätze auf Kredit. Sie können bei jeder Bank einen Bankkredit über drei Jahre für eine abhängige oder selbständige Beschäftigung erhalten. Sie handeln zunächst einen ganz normalen Arbeitsvertrag als Dachdeckergehilfe oder Altenbetreuerin aus.

Das geht unbürokratisch und schnell: Sie bringen ihre Qualifikation und ihr Gehalt mit. Die Banken berechnen einen Zins, der an normale Existenzgründungsdarlehen angelehnt ist (fünf bis sechs Prozent). Haben sich die jungen Leute nach drei Jahren einen Arbeitsplatz geschaffen und verdienen gut, müssen sie den Kredit zurückzahlen. Verdienen sie schlecht oder haben sie keinen Arbeitsplatz schaffen können, muß das Bundesministerium für Arbeit die Kreditkosten übernehmen.

Das Programm kostet rund fünf bis acht Milliarden Mark jährlich – Peanuts gegen die 288 Milliarden Mark für die Treuhand. Der Charme des Vorschlags: Der Begriff von Arbeit wird radikal erweitert, die Berufseinfädelung von unten organisiert, die Arbeitsplätze werden unbürokratisch finanziert. Außerdem wird öffentlich sichtbar: Menschen können sich mit ihren Qualifikationen und ihrer Motivation selbst Arbeitsplätze schaffen. Peter Grottian