Public Woman

Der Körper als unendlich variierbares Zeichensystem: PJ Harvey im Docks  ■ Von Christian Buß

P J Harvey, die Verwand-lungsmaschine. PJ Harvey, der Selbstfindungsapparat. Metamorphosen durchlebte die Frau stets in aller Öffentlichkeit, mentale Zustände wurden immer eins zu eins durch körperliche Zeichen an die Oberfläche geholt. Beim ersten Hamburg-Konzert in der Markthalle begegnete das Publikum 1992 einer von Medien und Mitmenschen zerfleischten Novizin, die die eigene Verletzlichkeit hinter einer klobigen Lederjacke verstecken wollte. Zwei Jahre später spielte sich PJ Harvey in der Großen Freiheit den Groll mit monströsem Gitarrengrollen von der Seele – ebenfalls monströs: der Lippenstift und die Kunstfellauswüchse an ihrem zierlichen Körper.

Vor drei Jahren schließlich führte die Engländerin mit nur sporadischen, aber um so nachhaltigeren Shows ihre Theatralität zu einem vorläufigen Höhepunkt. Für jeden Song auf dem Album To Bring You My Love hatte sie die richtigen Kunstwimpern und das angemessene Kleid, zu jedem vertrackten Rhythmus eine präzise Körperbewegung. Die eigene Physis als unendlich variierbares Zeichensystem – PJ Harvey beherrscht dies wie keine zweite Künstlerin im Rock. Also in einer Welt in der Körperlichkeit sonst nur die Verkäuflichkeit des Körpers meint, ihn aber selten zum poetoligischen Programm erhebt.

Dies alles muß gesagt sein, wenn man über PJ Harvey und ihren Auftritt am Sonntag im gut gefüllten Docks spricht. Denn wie der Endpunkt einer Entwicklung wirkte der, Elemente aus allen Phasen ihres Schaffens wurden in immer neue Zusammenhänge gebettet. Mit enormem Kraftaufwand hat sie über das letzte halbe Jahrzehnt ihren Körper ausgebeutet, jetzt profitiert sie noch immer davon. Atemtechniken, Bewegungsabläufe, Gesten – all dies wird von PJ Harvey gleichsam aus einem Speicher von emotionellen Signifikanten abgerufen. Was nicht heißt, hier sei irgendwas er-stunken und erlogen. Is This Desire? fragt die Radikal-Künstlerin auf ihrem Album. Ja, dies ist das Verlangen, aber es tut überhaupt nicht weh.

PJ Harvey gab im Docks alles – und entäußerte doch nicht sich selbst. Das Drama wird bei ihr jetzt mit einer gesunden Beiläufigkeit aufgeführt. Leise, zurückgenommen und doch unglaublich kraftvoll entwickelte sich die Musik an diesem Abend. Am Anfang war da nur ein rhythmisches Pochen; das schwoll über eineinhalb Stunden zu einem veritablen Beben an. Die Dynamik ist enorm, Stücke aus allen Jahren wurden hier miteinander verquickt: die Selbstkasteiungen von Dry (1992) mit den plüschrot ausgeleuchteten Märchen von To Bring You My Love (1995), die entrückten Parabeln von Is This Desire? (1998) mit den brutalen Anmaßungen von Rid Of Me (1994). Die Band bewegte sich dabei kaum. PJ Harvey blieb am Anfang ebenfalls statisch, schien aber gegen Ende über die Bühne zu fliegen.

Vielleicht wurde sie dabei von ihrer eigene Stimme angetrieben. Denn bei einigen Songs schrie sie gegen ihren vom Keyboard gesampleten Gesang an. Gebt uns eins, zwei, drei PJ Harveys!