Berliner Kurden sind alarmiert

Nach der Demonstration für die Auslieferung des PKK-Chefs Öcalan werden Übergriffe nationalistischer türkischer Organisationen befürchtet  ■ Aus Berlin Julia Naumann

Die Stimmung in der kurdischen Community in Berlin ist nach dem Wochenende und der türkischen Demonstration für die Auslieferung des Kurdenführers Abdullah Öcalan äußerst angespannt. „Die Demonstration hat die Unsicherheit verstärkt und zu Angstgefühlen geführt“, sagt Siamend Hajo, Mitarbeiter im Verein der Eltern aus Kurdistan, Yekmal. Auch Giyasettin Sayan, immigrantenpolitischer Sprecher der PDS im Berliner Abgeordnetenhaus, hat eine „verstörte Stimmung“ unter den Berliner Kurden ausgemacht. Kurdische Cafébesitzer hätten Angst, daß Anhänger der rechtsextremen Grauen Wölfe ihre Fensterscheiben einwerfen. Umgekehrt würden sich viele Kurden nicht mehr in türkische Cafés trauen, hat er erfahren.

Am Samstag hatten in der Berliner Innenstadt mehrere tausend TürkInnen für die Auslieferung Öcalans an die Türkei oder an Deutschland demonstriert. Aufgerufen hatten 32 türkische Vereine, sowohl aus dem rechtsextremen Spektrum als aus der politischen Mitte. Die Stimmung auf der Demo war äußerst aggressiv – TeilnehmerInnen skandierten Morddrohungen gegen Öcalan und gegen KurdInnen allgemein. Zu Auseinandersetzungen zwischen KurdInnen und TürkInnen kam es jedoch nicht. In Berlin leben schätzungsweise 140.000 Menschen aus der Türkei, davon 40.000 KurdInnen.

Seit der Verhaftung Öcalans in Rom vor zweieinhalb Wochen habe sich das „relativ gute“ (Giyasettin Sayan) Verhältnis zwischen Berliner KurdInnen und TürkInnen verändert. „Wir können gut zusammenleben, solange die politische und ethnische Zugehörigkeit nicht diskutiert wird“, charakterisiert Hajo das Verhältnis. „Bis zur Verhaftung gab es auf beiden Seiten nicht so einen Haß“, glaubt auch Sayan. So habe es vor der Demonstration ernsthafte Befürchtungen in Vereinen, Geschäften und Organisationen gegeben, daß es zu antikurdischen Gewalttaten komme. Sayan hatte sich deswegen auch an den Berliner Polizeipräsidenten Hagen Saberschinsky gewandt, damit kurdische Einrichtungen und Persönlichkeiten geschützt werden.

Einen großen Einfluß habe die Medienkampagne gegen Öcalan in der Türkei. „Der für seine Nähe zum islamistischen Fundamentalismus bekannte türkische Fernsehsender TGRT hatte sehr stark für eine massenhafte Beteiligung an der Demo geworben“, sagt Sayan. Die angeheizte Stimmung führe unter den Kurden dazu, daß die Sympathie und Solidarität zur kurdischen Arbeiterpartei PKK wachse.

Der migrationspolitische Sprecher der Grünen, Riza Baran, hat in den vergangenen Tagen bemerkt, daß „kurdische Gruppen und Grüppchen jetzt stärker zusammenhalten“. Jedoch bezeichnet er die Stimmung unter den KurdInnen insgesamt als „gut und ruhig“.

Das Kurdische Zentrum, eine Art Zusammenschluß verschiedenster kurdischer Organisationen und Vereine, wird in den nächsten Tagen einen öffentlichen Appell an alle KurdInnen richten: „Damit rufen wir gegen Gewalttaten an den Türken auf“, sagt Sipan Rasch, Mitglied im Vorsitz des Kurdischen Zentrums. Er befürchtet insbesondere Auseinandersetzungen unter kurdischen und türkischen Jugendlichen.